Annales Speinshartenses. Eine neue Edition einer frühneuzeitlichen Klosterchronik

Ordensgeschichte 2017-06-22

Kloster Speinshart, gegründet der Überlieferung nach 1145, liegt in der nördlichen Oberpfalz und gehört zum Prämonstratenserorden. Später zur Abtei erhoben, teilte das Kloster die Geschicke der Kuroberpfalz: Das katholische Leben endete bis 1556. Erst 1661 wurde das Stift, so würde man österreichisch sagen, von Steingaden wiederbesiedelt und dann wieder 1921 nach Aufhebung 1803 durch Tepl (instruktiv: http://www.kloster-speinshart.de/konvent–kloster/index.html).

Die Unterbrechung monastischer Kontinuität ist kein einfach zu schreibendes Kapitel der Eigengeschichte, dem sich in Speinshart allerdings schon 1664 ein Steingadener Professe unterzog. Dessen heute verlorene Annalen gingen in die Hausannalistik des Klosters ein, die retrospektiv um 1737 begann und sich in einer Handschrift, die bis 1770 reicht, erhalten hat. Bezeichnenderweise liegt dieses Manuskript nicht im zuständigen Staatsarchiv Amberg, sondern im Pfarrarchiv vor Ort, Indiz für das andernorts Verlorene, wenn und wo nicht geschichtsbewusste Geistliche ins Pfarrarchiv retteten, was der staatliche Aufhebungskommissar 1803 verschmähte.

Für das 18. Jahrhundert gelten die Annalen als Hauptquelle zur Geschichte des Klosters, aber auch zur Geschichte des oberpfälzisch-fränkischen Raums, sodass schon lange gewünscht wurde, den Text im Druck zugänglich zu machen. P. Ulrich Leinsle hat diesen Wunsch in einer zweisprachigen und reich dokumentierten Edition nun erfüllt, womit Speinshart nach Urkundenregesten und Professbuch zu den gut dokumentierten Klöstern nicht nur der Region gezählt werden darf. Dies gilt umso mehr, als die Gattung monastische Hausgeschichtsschreibung in ihren frühmodernen Zeugen immer noch wenig Aufmerksamkeit der Editoren findet, und wenn, dann durch regionale Initiativen wie hier: Den Vertrieb und die verlegerische Betreuung übernahm der regionalgeschichtlich tätige Verlag Bodner in Pressath, bekannt auch als Bavarica-Buchhandlung.

Der Text selbst wird profund eingeführt, die fünf Historiker identifiziert und die Bedeutung als Quelle treffend umrissen. Zur Auflösung und Kommentierung der zahlreich vorkommenden Namen mussten unterschiedlichste Quellengattungen und Archive herangezogen werden – eine Fleißarbeit mit viel Spürsinn, die der Herausgeber nach seiner Emeritierung als Professor für Systematische Theologie der Universität Regensburg vollenden konnte.

Die Annalen selbst verstehen sich nicht als ausgefeilte Geschichtsschreibung, sondern wollten festhalten, was für die klösterliche Nachwelt voraussichtlich bedeutsam werden würde. Im Mittelpunkt stehen der geistliche Anspruch etwa auf ehedem inkorporierte Pfarreien und die Wirtschaft des Klosters, die nach einem Jahrhundert der Entfremdung vieler Rechte erst wieder errungen beziehungsweise aufgebaut werden mussten. Dies geschah oft gegen den zähen Widerstand der bäuerlichen Untertanen, die dem Kloster in vielen Prozessen zu schaffen machten, sicher eine Folge der Herrschaftsintensivierung seit 1661 im Vergleich zur Tätigkeit der fernen Regierung in Amberg. Die Einführung des Hopfens und der Kartoffel, das besondere Interesse an der Teichwirtschaft, die offenbar ein persönliches Anliegen des als energisch und erfolgreich gezeichneten Abts Dominik von Lieblein (1734-1771) war, markieren diese Veränderungen.

Im Kloster herrschte dabei reges Kommen und Gehen, so suggerieren die Annalen. Teils bemerkenswerte Gäste aus Syrien, Russland und Arabien unterstreichen indes, dass Besuch nach wie vor als willkommene Ablenkung vom klösterlichen Alltag aufgenommen oder doch erduldet wurde. Auffallend sind die sich intensivierenden Kontakte nach Bayreuth, der evangelischen Hauptstadt des benachbarten Markgraftums Brandenburg-Kulmbach, wo man auf katholische Künstler und Politiker nicht verzichten wollte.Der interkonfessionelle Umgang, der auch Juden einbezog, scheint deutlich entspannter als zu manchem gut katholischen Nachbarn. Das diplomatische Geschick des Abts zeigte auch politische Wirkung: Wurde Speinshart im Spanischen Erbfolgekrieg noch ausgeplündert, sorgten im Siebenjährigen Krieg vertraute Bayreuther Hofkünstler für einen Schutzbrief – dank der Kontakte zum preußischen General Prinz Heinrich. Der Schwager des Markgrafen sollte im Auftrag seines Bruders und Königs die meist katholischen Reichsstände für ihre offene Unterstützung der kaiserlichen Sache abstrafen. Pikanterweise standen die Truppen des Markgrafen selbst gegen seinen Schwager im Felde. Reflexe der großen Politik wurden sonst in Speinshart den Zeitungen entnommen, die sich offenbar als Informationsmedium durchsetzten.

Neben gelegentlichen Nachrichten zur Schule und zum Hausstudium des Klosters sind die vielen Disputationen erwähnenswert, die die Geistlichen der Region, also auch Weltgeistliche und die Franziskaner des nahen Konvents in Kemnath, hielten. Auch zu anderen Klöstern wie den Paulanern Amberg oder den Kapuzinern Parkstein bestanden Kontakte. Gemeinsame Ziele der Seelsorge und Bildung führten die Geistlichen ordens- und standesübergreifend zusammen. Von den Animositäten, wie sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts – anderswo – nicht ignoriert werden könnten, ist hier nichts zu lesen.

Mit diesem Hinweis sei daran erinnert, dass Quellen dieser Art längst nicht nur regional- oder ordensgeschichtlich gelesen, sondern für fast alle Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft fruchtbar gemacht werden können, ob Wirtschafts-, Klima- oder Mentalitätsgeschichte. – Damit nicht geschehe, was von einem Zisterzienser aus Gotteszell berichtet wurde. Die von seinem Kloster ins Deutsche übersetzten und in den Druck gegebenen „Annales Cistercienses“ brachte dieser hausierenderweise an die Käufer.

Stefan Benz (Bayreuth)

Ulrich G. Leinsle (OPraem), Annales Speinshartenses. Die Jahrbücher der Prämonstratenserabtei Speinshart 1661-1770 (Speinshartensia, Bd. 3), Pressath 2016. ISBN 978-3-926817-50-1.