Wechterswinkel: Urkunden eines Benediktinerinnenklosters. Rezension der Edition Heinrich Wagners

Ordensgeschichte 2017-06-22

Kloster Wechterswinkel, dessen diplomatische Überlieferung 2015 einer Edition gewürdigt wurde, liegt gegenwärtig im Landkreis Rhön-Grabfeld, südwestlich von Mellrichstadt, dem Grenzort zwischen Franken und Thüringen. Was für viele abgelegen klingt, war zumindest im Mittelalter eine Region höherer Bedeutung, liegt hier doch der Salzforst mit der bis heute Rätsel aufgegebenen karolingischen Pfalz sowie der Salzburg, einer der bemerkenswertesten Burganlagen der Romanik. Wohl der beste Kenner der Geschichte der Region, Heinrich Wagner, ausgewiesen durch eine Monographie zum Zisterzienserkloster Bildhausen und zwei historische Atlanten aus der bekannten Reihe der Kommission für Bayerische Landesgeschichte, hat sich nach früheren, unselbständigen Veröffentlichungen nun des Klosters und seiner Überlieferung angenommen, erschienen als Band 70 der Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg.

Bei der historischen Bedeutung der Region ist es nicht überraschend, dass – um 1144 – auch ein Frauenkloster gegründet wurde, dessen nähere Gründungsumstände frühe Struktur allerdings nicht mehr sicher erklärt werden können – selbst ein Doppelkloster wäre denkbar. Wie der Vf. ausführt, spricht viel für eine Gründung des Würzburger Bischofs, was als unspektakuläres Geschehen weder direkte Spuren hinterlässt noch die Geschichtskultur des Orts befeuert. Und in der Tat ist eine Chronik nicht erhalten, vermutlich weil es nie eine gegeben hat.

Das Kloster wurde gelegentlich als zisterziensisch bezeichnet, gehörte aber nie zum Orden, was Wagner nutzt, seine Vorgänger in der Historiographie des Klosters anzuzählen. Es darf dazu daran erinnert werden, dass die Ordenszugehörigkeit für zahlreiche mittelalterliche Frauenklöster eher peripher war, diese oft selbst nicht darum wussten. Die in der deutschsprachigen Forschung stets hoch gewichteten Rechtsfragen sollten anstatt äußerer Normen besser die innere Struktur der Klöster beachten, hier eine Propstverfassung, wie sie für gestiftete Frauenklöster der östlichen Hälfte Mitteleuropas typisch ist und durch männliche Dominanz die Überlieferung ziemlich beeinflusst. So erahnen wir heute nur mehr die Bedeutung Wechterswinkels als geistliches Zentrum, wo eine Äbtissin mit Hildegard von Bingen korrespondierte, als dass wir noch Genaues wüssten.

In der Urkundenüberlieferung dominieren demnach zivilrechtliche Themen. Überliefert sind Urkunden zu Grundstücksgeschäften, Abgabenfragen, Besitzübertragungen mit frommen Stiftungen und Eigentumsklärungen, teils in einer Komplexität, die die Zeitgenossen überforderte (Nr. 37). Gelegentlich sind bischöfliche Eingriffe in das Kloster überliefert, so gegen 1231, als die Zahl der Nonnen wegen ökonomischer Schwierigkeiten auf Hundert beschränkt wurde. Zuletzt wollte Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn, dessen Todesjahr 1617 im Moment in Würzburg Anlass diverser Tagungen und Ausstellungen ist, den Konvent mit Nonnen aus Oberschönenfeld (Zisterzienser) beleben, scheiterte aber, vielleicht erwünscht, um das Klostervermögen anderweitig zu verwenden. Als wirtschaftliche Einheit hat es sich bis heute erhalten.

Aus verschiedensten Fonds und Archiven, insbesondere aus kopialer Überlieferung, stellte Wagner dazu die Urkunden und Regesten richtigerweise nach dem Pertinenzprinzip zusammen. Mit Provenienzen ist dem Historiker zumal in der Isolation einer Edition nicht gedient, wie eine Provenienzordnung überhaupt nur für eine von Archivaren bislang unberührte, moderne Aktenüberlieferung sinnvoll ist.

Frühere Versuche, die Überlieferung für Wechterswinkel zu klären, konnten, wie Wagner ausführt, nicht befriedigen, sodass hier eine echte Forschungslücke für das 1592 faktisch aufgehobene Kloster geschlossen wurde, zumal neben Chronik auch Nekrolog und Akten fehlen. Lediglich ein Bruchstück eines Kalendars überlebte und wird mitediert.

Die Bedeutung und Geschichte des Klosters scheint sich trotz des Zufalls der Überlieferung noch immer in den absoluten Zahlen der Urkunden zu spiegeln: 30 bis 1200, fast 100 im 13. Jahrhundert, dann nur noch rund 200 bis zum Ende. Bis 1285 werden alle Stücke im Volltext gegeben. Den 318 Stücken folgen, wie schon erwähnt, ein Kalendariumsfragment und die Abbildungen der Klostersiegel, schließlich ein klar aufgebautes Gesamtregister. Begleitet wird der Band durch Abbildungen, die selbst überwiegend Quellencharakter beanspruchen können. Damit liegt eine erschöpfende Dokumentation für ein in der Stauferzeit wichtiges fränkisches Frauenkloster vor, dessen Verflechtungen weit in das heutige Thüringen hineinreichen.

Stefan Benz (Bayreuth)

Heinrich Wagner, Urkunden und Regesten des Frauenklosters Wechterswinkel (Quellen und Forschungen zu Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 70), Würzburg, Kommissionsverlag Ferdinand Schöningh 2015. ISBN 978-3-87717-076-2