Länderübergreifend: Klosterbuch Schleswig-Holstein und Hamburg (Rezension)

Ordensgeschichte 2020-03-24

Mit dem Klosterbuch für die Hansestädte Hamburg und Lübeck sowie die Herzogtümer Lauenburg, Schleswig und Holstein ist ein Inventar erschienen, das nicht nur zwei deutsche Bundesländer, und diese vollständig, sondern auch den dänischen Teil des Herzogtums Schleswig beschreibt. Die leidigen modernen Ländergrenzen, im Norden allerdings recht stabil, werden also mit den historischen Grenzen verbunden, so dass die Fläche lückenlos erfasst ist. Damit ist zugleich der deutschsprachige Norden komplett mit hochwertigen Klosterbüchern versehen; nur für Pommern wird man weiterhin Hermann Hoogewegs ältere, gleichwohl gründliche Darstellung zu benutzen haben. Dass kirchliche Grenzen keine Rolle spielen, erklärt sich leicht mit der hier anders verlaufenden Kirchengeschichte: Im vormals welfischen Norden Heinrichs des Löwen sowie in Dänemark hat eine Reichskirche wie im Süden nie wirklich stattgefunden, obgleich das Hochstift Lübeck seine Reichsstandschaft bis zuletzt bewahrte. Als Herrschaftsträger und Klostergründer sollte auch die Bauernschaft Dithmarschen, eine freie Bauernrepublik, erwähnt werden.

Auf 1600 Seiten haben die Herausgeber Oliver Auge und Katja Hillebrand eine umfassende Darstellung koordiniert, vielfach selbst geschrieben und fotografiert, die nahtlos an die Klosterbücher Brandenburgs und Mecklenburgs anschließt. Die Arbeit daran in und um Kiel begann 2007 und wurde ab 2014 forciert. Entstanden ist ein sehr gewichtiger Doppelband, eingeleitet von sechs Aufsätzen, denen 59 Einzelartikel (Mecklenburg: 43) folgen, um eine Region zu beschreiben, die um 1500 aus insgesamt 43 Institutionen einschließlich der vier Domkapitel und zwei (weiteren) weltlichen Stiften bestand: Folglich sind einige Verlegungen (von Neumünster nach Bordeholm transferierte Augustinerchorherren) und mehr oder weniger erschlossene oder bloß erwähnte Institutionen darunter. Bemerkenswert ist das Ost-West-Gefälle der Institutionen. Für viele Einrichtungen ist oftmals überhaupt die erste kompetente Darstellung entstanden, während für den benediktinischen Zweig durch die Germania Benedictina schon vorgearbeitet war. Und häufig wird mit den Mythen der lokalen Literatur aufgeräumt.

Die Ausstattung durch den Verlag Schnell und Steiner (Regensburg), der sich auch finanziell engagierte, entspricht mit zahlreichen Abbildungen den hohen Standards, die durch die Vorgängerpublikationen gesetzt worden sind. Hervorzuheben ist die reiche Ausstattung mit Karten zur Besitzgeschichte und Plänen, die zumeist original für diese Publikation entstanden sind. Für Cismar (OSB) erlaubte es die Quellenlage, sogar chronologisch differenziert zu kartographieren. Ein Register wurde nicht erarbeitet, was für prosopographische Forschungen und Familien- und Adelsforscher sicher ein Manko darstellt.

Die Einleitungsaufsätze behandeln neben einem Überblicksaufsatz zur Entwicklung und zur Kunstgeschichte auch die Forschungsgeschichte mit Historiographie. Schon im Mittelalter pflegten die Klöster ihre Geschichte und waren zugleich für die Stadt Lübeck und das Königreich Dänemark historiografisch tätig (Annalen aus Rude OCist). Namen wie Helmold von Bosau (Neumünster-Bordesholm als zentrales Kulturzentrum) oder Arnold von Lübeck sind überregional bedeutend. Ersterer legte mit „Versus de vita Vicelini“, die Biographie des Klostergründers und seiner Nachfolger, eine frühe Klostergeschichte, vor.

Hervorzuheben ist, dass die Darstellung wie die Einzelartikel auch die historiografische Bedeutung epigrafischer Denkmäler berücksichtigen. Gesondert behandelt wird die klösterliche Musikkultur und damit die Liturgie (Verfasserin: Linda Maria Koldau) mit einer Übersicht des erhaltenen Materials, darunter die „weltbekannte“ Bordesholmer Marienklage und das sogenannte Buch im Chore des Klosters Preetz (OSB), geschrieben in der Reformzeit des 15. Jahrhunderts von der Priorin Anna von Buchwald. In ihrem Hausbuch behandelt sie neben vielen anderen Themen täglichen Wirtschaftens die musikalische und zugleich pädagogische Reform des Gottesdiensts. Selbst die nachreformatorischen Humanisten wie Heinrich Rantzau (gest. 1598) berücksichtigten in ihrer Landeshistoriographie die Klöster, während die Barockhistoriker bedeutende Quelleneditionen vorlegten.

In Hinblick auf die Verteilung der Orden bietet die Region wenig Überraschungen. Ungewöhnlicher von ihrer Ordenszugehörigkeit sind das Kloster des Hospitalordens vom Heiligen Geist in Kuddewörde, die Birgitten mit einem Doppelkloster in Marienwohlde, Kartäuser in Ahrensbök und die Antoniter in Mohrkirch, alles Klöster begrenzter Bedeutung. Ansonsten sind Augustinerchorherren, Benediktiner, Zisterzienser (jeweils mit ihren weiblichen Zweigen) sowie Franziskaner und Dominikaner aus der Familie der Bettelorden vertreten.

Der Ostseeraum ist bekanntlich einer der europäischen Zentrallandschaften der Backsteinarchitektur. Höhepunkte der mittelalterlichen Baukunst dieses Doppelbandes sind die Klosterkirchen von Løgum und Segeberg sowie die Dome in Lübeck, Schleswig und Ratzeburg. Generell ist Lübeck von kunstgeschichtlich größter Bedeutung, sowohl hinsichtlich der Ausstrahlung und Marktmacht seiner Werkstätten wie vom erhaltenen Bestand her. Hierzu zählen nicht nur die zumindest in Teilen erhaltenen Klöster der Franziskaner und Dominikaner, sondern auch die Reste der Beginenhäuser. Für die fünf Beginenhäuser hat der Rat der Stadt 1438 eine eigene Ordnung erlassen. Wie so oft in der stadtgeschichtlichen Entwicklung Europas gilt hier, dass von der Gegenwart nicht auf die Vergangenheit zurückgeschlossen werden kann. Lübeck, heute im Schatten Hamburgs stehend, dessen Vergrößerung die Stadt 1937 ihre jahrhundertelange Selbständigkeit opfern musste, beansprucht rund ein Fünftel des Umfangs der Einzelartikel.

Obgleich in Hamburg einige Künstler existiert haben sollen, ist die Relevanz dieser Hansestadt gering: Dies liegt zuletzt daran, dass sich nahezu nichts erhalten hat. So gehört Hamburg zu den Städten, die wie Lüttich und Besançon ihre historischen Kathedralen einbüßten, in diesem Fall allerdings aus eigener Schuld: Als der Reichsdeputationshauptschluss 1803 den Hamburgern die welfische Exklave des Dombezirks zuschlug, beeilten sich die Hansestädter, die Kirche anzureißen, um die politische Entscheidung faktisch unumkehrbar zu machen. Die Barbarei hatte indes vorher begonnen: 1782 wurde das Papst-Kenotaph zerstört – Hamburgs Dom barg einstmals das Grab von Papst Benedikt V. 1784 verauktionierten die Hamburger Domherren die historische Bibliothek; von den knapp 4800 Bänden inklusive unersetzlicher Handschriften lässt sich heute kaum einer noch nachweisen. Franziskaner- und Dominikanerkirche folgten im Zuge weiterer städtebaulicher Maßnahmen des 19. Jahrhunderts, so dass die entsprechenden Einzelartikel ausführlich den verlorenen Baubestand rekonstruieren. Illustriert mit beeindruckenden Ruinenbildern, ist dies zugleich Beleg für die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in Hinblick auf Denkmalpflege als Ausdruck tätigen Geschichtsbewusstseins. Anderswo, in Lübeck zumal, begann schon das Sammeln und Konservieren.

Es war also nicht die Reformation, die zerstörte, zumal diese im Norden außergewöhnlich milde vollzogen wurde: Sechs Frauenklöster überdauerten die Reformation, allerdings nicht als altkirchliche Einrichtungen wie in den Diözesen Magdeburg und Halberstadt, sondern als evangelische Fräuleinstifte. Darunter zählen die vier Damenstifte der Ritterschaft: Itzehoe, Preetz, Uetersen und Schleswig (St. Johannis), wo ein selbständiges, standesgemäßes und adelsstolzes Leben inmitten einer heraldisch geprägten Umgebung geführt wurde und zunehmend weniger an die mittelalterliche Vergangenheit der Häuser erinnerte. Ungewöhnlich für ein Frauenkloster: Die Zisterzienserinnen in Reinbek begrüßten die Reformation Martin Luthers. Oft erwiesen sich die Frauenklöster der Reformation gegenüber resistenter. Die Harvestehuder Nonnen verweigerten sich, doch die Hamburger machten kurzen Prozess und rissen ihr Kloster einfach in einer Nacht- und Nebelaktion ab.

Die von diesem krassen Beispiel abgesehen sanfte und durch die Obrigkeiten gesteuerte Reformation dürfte zur Erklärung beitragen, warum sich viele mittelalterliche Kunstwerke erhalten haben. Höhepunkt ist wiederum Lübeck: Allein in und aus dem Dom haben sieben gotische Altäre überlebt, mehr als in allen fränkischen Domen zusammen. Besonders bemerkenswert ist das Flügelretabel in Cismar (OSB), das um 1315 angesetzt wird und als eines der frühesten seiner Art überhaupt gilt. Die Entwicklung aus dem Reliquienschrank heraus lässt sich dank dem erhaltenen Exemplar in Løgum studieren (um 1325).

Aus den Einzelartikeln, die einem übersichtlich und sinnvoll gegliedertem Schema folgen (vgl. die Abbildung), möchte ich eine Reihe Besonderheiten oder Curiosa übernehmen, die vielleicht überregional von Interesse sind. Wer etwa nach Bibliotheken fragt, wird vor allem in den Artikel zu Bordesholm-Neumünster (CRSA) und Segeberg (CRSA) fündig. Dort gibt es einen Katalog von 1488, hier haben sich Bestände vor allem in Prag erhalten: Beute des Dreißigjährigen Kriegs aus der Bibliothek des Humanisten Heinrich Rantzau, der viele Bände aus Segeberg übernommen hatte (und dem wohl auch die detailgetreuen Stadtansichten auch kleinster Orte aus dem Städtebuch von Braun und Hogenberg verdankt werden). Manches Historische aus dieser Adelsbibliothek zirkuliert bis heute auf dem Antiquariatsmarkt.

Bordesholm glänzt außerdem kunstgeschichtlich durch seine vorreformatorische Neuausstattung als Fürstengrablege. In und aus der schlichten Kirche hat sich ein reiches Inventar erhalten, dessen Spuren auch in entlegene europäische Museen verfolgt wurden. In Flensburg hat sich das Bildnis des letzten Franziskaners erhalten, in Hamburg, wie schon erklärt, nahezu nichts. An die Harvestehuder Zisterzienserinnen, denen die Hamburger so übel mitgespielt hatten, erinnert in der Wiener Geistlichen Schatzkammer die sogenannte Eppendorfer Alraune, einstmals Ziel von Wallfahrten und Dokument eines Hostienwunders. Die erhaltenen Vasa sacra bezeugen oft den internationalen Warenverkehr, wie man ihn in der von der Hanse geprägten Region auch erwartet. Ein besonders schönes Stück, ebenfalls aus Harvestehunde, ist ein Vortragekreuz aus Bleikristall. Die kunstgeschichtliche Bedeutung der Lübecker und Schleswiger Institutionen, der Klöster Cismar und Løgum wurde schon erwähnt. In der Stiftskirche Haderslev wurde die historische Ausstattung durch einen späteren Brand dezimiert.

Einige Punkte seien kritisch angemerkt. Bei Archivalienbeschreibungen und Hinweisen auf Chroniken wäre gelegentlich eine deutlichere Unterscheidung nach Provenienz und bloßen Pertinenzen wünschenswert, damit sich auch der mit den Archiven Unvertraute eine gewisse Vorstellung vom Umfang und der Art des erhaltenen Quellenbestandes machen kann. Erst dann macht die genaue Angabe sowieso meist kryptisch-sinnfreier Archivsignaturen einen Sinn.

Der Band verfolgt im Inhaltsverzeichnis strikt eine ordensrechtliche Identifikation der einzelnen Institutionen. So findet sich der Hamburger Dom nicht unter dem volkstümlich geläufigen Namen als Dom, obwohl im Text auf dieses Lemma verwiesen wird, sondern als Hamburg, Säkularkanonikerstift. Daher möchte der Rezensent es nicht als Beckmesserei verstanden wissen, wenn er mahnt, bei „Zisterzienserinnen“ deutlicher darauf hinzuweisen, dass es sich um keine handelt. Weder Itzehoe, Reinbek, Lübeck noch Uetersen waren dem Zisterzienser-Orden inkorporiert. Inwieweit sie seinen Gewohnheiten und welchen überhaupt folgten, bleibt offen. Im Fall Uetersens wird im Artikel beiläufig darauf hingewiesen, dass das Kloster seiner Zeit vereinzelt als benediktinisch ausgewiesen werde. Die geistliche Aufsicht hatte in jedem Fall die Diözese. Das führt zur Einsicht, dass vor allem bei weiblichen Institutionen ordensrechtliche Vorannahmen der Forschung meist wenig bringen. Die Lizenzen zur Individualisierung sind auf diesem Sektor der katholischen Kirche bis in die jüngste Zeit wesentlich größer als bei den strikter regulierten Männerorden.

Uneingeschränkt positiv hervorzuheben ist die kompromisslose Aufnahme und ausführliche Darstellung der Säkularkanonikerstifte und Domkapitel. Und natürlich, dass mit diesem Standardwerk ein gedrucktes Buch vorgelegt wurde!

Oliver Auge; Katja Hillebrand (Hg.), Klosterbuch Schleswig-Holstein und Hamburg. Klöster, Stifte und Konvente von den Anfängen bis zur Reformation, 2 Bde., Regensburg: Schnell & Steiner 2019.