Tagungsbericht – 24. Tag des Arbeitskreises Ordensgeschichte 19./20. Jahrhundert
Ordensgeschichte 2024-09-02
Im Vinzenz-Pallotti-Forum in Vallendar versammelten sich 25 Teilnehmende aus Deutschland, Österreich, Tschechien, den Niederlanden und Brasilien hörten und diskutierten Referate zu verschiedenen Aspekten der modernen Ordensgeschichte. Moderiert wurde die Präsenzveranstaltung von Gisela Fleckenstein OFS (Speyer) und Carolin Hostert-Hack (Winterspelt).
2023 richtete der Jesuitenorden den Blick auf ein eher ungewöhnliches Jubiläum. Clemens Brodkorb (München) nahm im Eröffnungsvortrag Bezug auf die vor 250 Jahren, also 1773 erfolgte Auflösung des Jesuitenordens durch Papst Clemens XIV. In der allgemeinen öffentliche Erinnerungskultur ist dies allenfalls eine Fußnote wert ist, doch für die Ordensgeschichte eines der dramatischsten Ereignisse des 18. Jahrhunderts. Dem Jubiläum war eine Ausstellung mit Katalog in St. Georgen gewidmet. Da die Ordensaufhebung nicht in allen Punkten durchgesetzt wurde, gibt aus allen vier deutschen Jesuitenprovinzen Material aus der Zeit vor 1773. In der Blütezeit des Ordens waren weltweit ca. 22.500 Jesuiten in Mission, Wissenschaft, Bildung und Seelsorge tätig. Es verbanden sich aber auch Antijesuitismus mit der Aufklärung und spätjansenistischen Strömungen. Die Verfolgung und Vertreibung der Jesuiten begann 1769 in Portugal und gipfelte 1773 in der Aufhebung des Ordens. Vielfach schürte man die Vorstellung einer jesuitischen Weltverschwörung; man warf den Ordensleuten Sittenlosigkeit vor und schmähte sie in Schriften. Viele Jesuiten traten nach der Auflösung ihres Ordens in den Weltpriesterstand über, um ihr Wirken fortsetzen zu können. Fortbestehen konnte der Orden in Weißrussland, was seine schrittweise Wiederrichtung 1814 durch Pius VII. ermöglichte. Mit der Wiederrichtung war die Debatte um den Jesuitenorden aber keinesfalls beendet. Die Auflösung des Ordens war in der Kirchengeschichte ein Schlüsselereignis des Zeitalters der Aufklärung mit globalen Auswirkungen. Im Anschluss an den Vortrag wurde diskutiert, ob die Reaktion der Jesuiten auf ihre Aufhebung auch Auswirkungen auf die Struktur und Organisation der zahlreichen Ordensgründungen im 19. Jahrhundert hatte.
Annegret Gellweiler (Esslingen) stellte eine Studie über die katholischen Schwesternstationen im Bistum Rottenburg zwischen 1933 und 1945 vor, die sich an ihre Dissertation über die Gesamtsituation der Orden im Bistum anschloss. Im Untersuchungszeitraum gab es im Bistum Rottenburg insgesamt 614 Ordensniederlassungen. Davon waren 26 von männlichen und 588 von weiblichen Gemeinschaften. Das Gros der Niederlassungen bildeten Schwesternstationen auf dem Land, die mit 2-3 Schwestern besetzt waren. Zu deren Aufgabenfeld gehörten die Ambulante Krankenpflege mit Krankenbesuchen, die Leitung von Kindergärten, die Erteilung von Handarbeitsunterricht sowie die Übernahme von Kirchendiensten. Diese Bereiche hatten für die ländliche Bevölkerung einen hohen Stellenwert, weil die Schwestern oft das einzige Fachpersonal waren und sie zudem ihre Arbeit kostenlos oder zu niedrigen Kosten (Handarbeitsschule) erbrachten. Die Ordensgemeinschaft hatte in der Regel gute Arbeitsbedingungen, intensiven Kontakt zur Bevölkerung – wobei gegenseitige emotionale Bindungen oft eine Rolle spielten – und ein Feld für die Gewinnung von Ordensnachwuchs. Für das Bistum gehörten die Schwesternstationen zu den grundlegenden Elementen der Karitas und der Kirchenbindung, wobei die Kindergärten eine hervorragende Rolle einnahmen. Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft hatte die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) das Ziel, langfristig alle Schwesternstationen zu übernehmen und diese ideologisch, organisatorisch und finanziell neu auszurichten. Die NSV Schwestern waren, wenn überhaupt verfügbar, für eine Gemeinde mehr als zehnmal teurer als Ordensschwestern und waren auch nicht bereit, die ambulante Krankenpflege zu übernehmen. Von 407 Kindergärten gingen nur etwa 100 an die NSV, alle anderen überdauerten die NS-Zeit. Die Ordensschwestern wurden in ihrer Arbeit beständig behindert, sie wurden permanent überwacht, waren Verhören ausgesetzt und wurden in Verwaltungsangelegenheiten schikaniert. Sie übernahmen neue Aufgaben in der Kriegskrankenpflege und leisten Hilfe für Flüchtlinge, was viele Gemeinschaften in ihren Kräften überforderte, da Neuaufnahmen in die Gemeinschaften untersagt waren. Die Schwesternstationen erwiesen sich trotz des fehlenden Nachwuchses sowie der steigenden Kranken- und Todesfallzahlen als widerstandsfähige Elemente einer kirchlichen Versorgung vor Ort. Diese Studie kann der Ausgangspunkt für lokale Studien sein, die jetzt in einen Kontext eingebunden werden können.
Robert Fischer (Molln, Österreich) stellte mit den Brüdern Hugo und Theodor Springer zwei Äbte des Benediktinerstiftes Seitenstetten (gegr. 1112) vor, die die Geschicke des Stiftes zwischen 1908 und 1958 leiteten. Zum Stift gehörten neben Gymnasium, Land- und Forstwirtschaft, Immobilien in Wien auch 14 inkorporierte Pfarreien. Hugo Springer (1873-1920) besuchte das Stiftsgymnasium, ging ins Noviziat und studierte im Anschluss an die Theologie Mathematik und Physik) für das Lehramt. 1908 wurde er zum Abt gewählt. Er finanzierte Bauleistungen, Feldkapellen für die Front und zeichnete ganz kaisertreu auch Kriegsanleihen, die das Stift in eine Krise führten. Unter ihm erreichte das Stift zwischen 1909 und 1920 mit 69 Patres einen Personalhöchststand. Von den Patres waren 40% Lehrer am Gymnasium, die anderen waren in den Pfarreien tätig. Er verstarb im Juni 1920 in Rom. Sein Bruder und Nachfolger Theodor absolvierte die gleiche Ausbildung. Auch er wurde mit 35 Jahren 1920 zum Abt gewählt. Zur Schuldentilgung musste er u.a. Inkunabeln der Stiftsbibliothek in die USA veräußern. Springer führte 1924 nach 140 Jahren erstmals wieder Laienbrüder ein. 1930 wurde Springer zum Abtpräses der Benediktinerkongregation gewählt. In der NS-Zeit gelang es ihm die Aufhebung des Stiftes zu verhindern, doch das Kloster wurde als Arbeiterunterkunft für den Reichsautobahnbau okkupiert und mit Flüchtlingen belegt. Während der Kriegszeit unterhielt der Abt durch monatliche Rundbriefe Kontakt zu den sich im Kriegseinsatz befindlichen Mönchen. Es sind auch zwei Kriegstagebücher von Mönchen überliefert, die einer weiteren Auswertung bedürfen. Mit den Biographien der Springer-Äbte konnte eine wichtige Lücke in der Stiftsgeschichte geschlossen werden.
Michaela Žáková (Prag), berichtete über das 1755 als Versorgungsanstalt für unverheiratete, adelige Frauen errichtete Maria Theresianische Damenstift auf der Prager Burg. Die Stiftung Maria Theresias war durch Grundbesitz und Immobilien abgesichert. Das vornehmste Stift der Monarchie hatte bis deren Auflösung 1919 bestand. Jeder Stiftsdame, die Zahl war auf 30 begrenzt, stand im Palais Rosenberg eine Dreizimmerwohnung für sich und für ihre Bediensteten zu. Daneben gab es gemeinschaftlich genutzte Räume und eine Hauskapelle. Ein Gesuch auf Aufnahme konnten katholische Frauen mit einem Mindestalter von 24 Jahren an den Kaiser stellen, denen es aus ökonomischen Gründen nicht möglich war, standesgemäß zu heiraten. Sie mussten eine adelige Abstammung von 16 direkten Vorfahren nachweisen. Es gab keinen Automatismus bei er Vergabe der Präbenden. Die Suppliken, in denen die Notsituation vorgetragen wurde, sind eine hervorragende Quelle für Erforschung der Aristokratie. Die Aufnahme in das Stift bedeutete für die Frauen eine völlige finanzielle Unabhängigkeit, mit der sie ein standesgemäßes Leben führen konnten und in der höfischen Hierarchie geachtet wurden. Zum Leben im Stift gehörten auch religiöse Verpflichtungen. Bis zu seiner Auflösung gehörten dem Stift insgesamt 205 Damen an. Die Hälfte davon verblieb dauerhaft auf der Prager Burg. Ein Viertel wählte den Weg ins Kloster oder in den Dienst am Hof und ein weiteres Viertel schloss eine Ehe. Ihnen stand es jederzeit frei, aus dem Stift auszutreten. Verwaltet wurde das Stift von einer Damenstiftskommission, bestehend aus der Dechantin – ein Amt mit hohem Prestige – und zwei Damenstiftskommissaren. Vermögensrechtlich wurde das Stift 1952 durch die Tschechoslowakische Republik endgültig aufgelöst. Das Maria Theresianische Damenstift ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie die mittelalterliche Stiftskultur auf eine neuzeitliche soziale Einrichtung übertragen wurde, die es auch verarmten adeligen Damen ermöglichte standesgemäß zu leben und in ihrer soziokulturellen Schicht zu bleiben.
In einem Werkstattbericht stellte Markus Helmut Lenhart (München) erste Ergebnisse über seiner Untersuchung der Hauschroniken der 22 Niederlassungen der Englischen Fräulein der ehemaligen Ostbayerischen Provinz in der Zeit des Ersten Weltkriegs vor. Bisher wurden die Chroniken nur unkritisch für die Erstellung von Jubiläumsschriften benutzt. In seinem Fokus stehen Situationen, die für die Schwestern neu sind und Brüche im Ordensleben bedeuten könnten: Das Verhältnis des Ordens zum Militär (Lazarette) zum Staat (Schulen) und zur Amtskirche (Bischöfe). Hinzu kommt eine Sicht auf den Orden als eine internationale über Kriegsfronten hinweg agierende Organisation sowie ein Blick auf den sich verändernden Sprachgebrauch und sprachlichen Konventionen in den Chroniken. Problematisch ist, dass die Chroniken oft rückwirkend erstellt wurden und die Verfasserinnen unbekannt sind. Auffällig ist bisher eine sehr formelhafte Sprache, die vor allem bei Nekrologen ins Auge fällt. Obwohl die Englischen Fräulein in erster Linie ein Schulorden sind, geht aus den Chroniken ein ganz selbstverständlicher Umgang mit den in den Schulgebäuden eingerichteten Heimatlazaretten hervor. Weihnachtsfeste wurde zusammen mit Schwestern, Schülerinnen und Soldaten gefeiert. Ob die Hauschroniken als Quellen die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen, bleibt abzuwarten. In der Diskussion wurde vorgeschlagen, auch vorhandene Schulchroniken in die Untersuchung miteinzubeziehen.
Anlass für die Beschäftigung mit der außergewöhnlichen Biographie des Franziskaners P. Gereon (Karl) Goldmann (1916-2003) war für Damian Bieger OFM (Dortmund) die anstehende Verfilmung des Goldmannschen Buches „Tödliche Schatten – Tröstendes Licht“ welches zuerst 1964 auf Englisch unter dem Titel „The Shadow of His Wings“ (angelehnt an Psalm 91,4) erschien. In seinen Erinnerungen, über 180.000 Bücher wurden verkauft, entfaltete er ein abenteuerliches, von Gottes Hand geführtes Leben. Goldmann verbrachte seine Jugend in Fulda und Köln, gehörte zum Bund Neudeutschland und trat nach der Absolvierung des Reichsarbeitsdienstes 1936 in Saalmünster in den Franziskanerorden ein. Von 1939 bis 1947 war er Soldat; nach eigenen Aussagen zunächst in der Waffen-SS, dann in der Wehrmacht. Er geriet in Gefangenschaft und wurde in einem Lager in Algier 1944, durch päpstliche Sondergenehmigung lediglich mit dem Abschluss des Philosophiestudiums, zum Priester geweiht. Er war bis 1947 Seelsorger in einem nordafrikanischen Priesterseminar, dann von 1948 bis 1953 in nachgeholter Ordensausbildung in deutschen Pfarreien bevor er 1954 als Missionar nach Japan ausreiste. Bis 1995 war der aktive Pater als Pfarrer in Tokio tätig, wo er bis heute als „Lumpensammler von Tokio“ bekannt ist. Er war, wie es Japaner formulierten, „Mit dem Mund voraus geboren!“ und hat sich um das Wohl vieler Menschen verdient gemacht. Goldmann war ein großer Kommunikator, wovon auch 77 Rundbriefe aus Japan an seine Spendergemeinschaft zeugen. Problematisch ist, dass es die Erinnerungen Goldmanns nicht in allen Fällen mit der Wirklichkeit übereinstimmen und sich durch Dokumente kaum verifizieren lassen, so auch seine angebliche Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Die bekannten Quellen sprechen lediglich von einem Polizeiregiment. Die Selbstvermarktung führte zu seinen Erfolgen. Der Referent spannte den Bogen zwischen „Heldentum und Heiligkeit“ und „Schuft oder Schwindler“. Ein Vergleich des geschilderten Lebens mit der Quellenüberlieferung steht noch aus, was für den Historiker ob der übersichtlichen Quellenlage eine Herausforderung ist. An manchen Stellen scheint es so, dass Goldmann die Kontrolle über seine eigenen Narrative verloren hat.
Maik Schmerbauch (Berlin) gab einen ersten Einblick in ein Forschungsvorhaben über Leben und Wirken des Jesuitenpaters Kurt Dehne (1901-1990) im Bistum Hildesheim. Dehne, der in Hannover geboren, lernte früh die Situation einer lauen Diaspora kennen. Er trat 1924 in den Jesuitenorden ein, studierte Theologie in Freiburg und Münster und wurde 1932 zum Priester geweiht. Von 1938 bis 1943 war er Dozent und Spiritual in St. Georgen. Er wurde denunziert, weil er Predigten des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen verteilte. 1943 wurde 1943 er im Frankfurter Polizeigefängnis inhaftiert und in den sogenannten Priesterblock des Konzentrationslagers Dachau überstellt. Der Kampf gegen das Vergessen und jegliche Barbarei war im zeitlebens ein Anliegen. Er erhob auch das Wort gegen Bolschewismus und Kommunismus. Bis zu seinem Tod warnte er immer wieder vor radikalen politischen Bewegungen, die mit dem Christentum unvereinbar waren. Von 1945 bis 1989 war in Hannover Diözesanmännerseelsorger). Zugleich war er Superior, Vizepräses und von 1950 bis 1965 Präses des Kolpingvereins. Daneben wirkte Dehne von 1968 bis 1989 auch als Polizei- und Zollseelsorger in Niedersachsen. Dehne prägte die Kolpingbewegung im Bistum Hildesheim nachhaltig. In seinem Amt bezog er immer wieder klare Positionen gegen neonazistische Bestrebungen in der Bundesrepublik. Dehne öffnete die Kolpingbewegung über das Handwerk hinaus für alle Menschen. Seine Verdienste wurden 1958 mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes und weiterer Ehrungen des Landes Niedersachsen gewürdigt.
Klaus Schatz SJ (Berlin) sprach über das Schicksal des Innsbrucker Canisianums im Walliser Exil und die Schein-Säkularisierung der Jesuiten zwischen 1938 bis 1945. Nach der Auflösung der Theologischen Fakultät in Innsbruck durch die Nationalsozialisten 1938, erhob Papst Pius XI. das bisherige Priesterseminar Canisianum zur Theologischen Fakultät, um eine weitere Priesterausbildung möglich zu machen. Diese wurde dann mit 76 Studenten nach Sitten in der Schweiz verlegt. Das international renommierte Canisianum wurde hauptsächlich von Studenten aus den USA, England und der Schweiz besucht. Problematisch an der Verlegung war nicht das Asyl in der Schweiz an sich, sondern die Lehrtätigkeit der jesuitischen Professoren. Diese widersprach dem Art. 51 der Schweizer Bundesverfassung. Eine Lehrtätigkeit in Sitten war nur möglich, wenn die Jesuiten aus dem Orden ausschieden und sich der Jurisdiktion des Bischofs unterstellten. Einen Tag vor seinem Tod gewährte Papst Pius XI. den sechs betroffenen Jesuitenprofessoren die Exklaustration, also eine vorläufige Entlassung aus dem Orden und Unterstellung unter den Bischof von Sitten. Doch dies genügte nicht für die Bundesverfassung, so dass die betroffenen Jesuiten nun „in foro externo“ säkularisiert wurden, aber im Gewissensbereich – „in foro interno“ – weiterhin Mitglieder des Ordens waren. Kirchenrechtlich allerdings ein Ding der Unmöglichkeit. Die Säkularisierung wurde nur zum Schein vor den staatlichen Behörden verfügt, in Bern allerdings nicht geglaubt. Die Jesuiten konnten auf die Großzügigkeit des Bundesrates bauen, der widerruflich, was bedeutete bis Kriegsende, ihre Lehrtätigkeit am Canisianum tolerierte. Ende 1945 wurden die sechs säkularisierten Jesuiten wieder „neu“ in die Gesellschaft Jesu aufgenommen und die Sittener Fakultät kehrte 1946 nach Innsbruck zurück. Die Schein-Säkularisierung, als im Grunde unnötige Maßnahme, schadete vor allem den Schweizer Jesuiten und sie wurde als jesuitischer Trick angesehen. Es war eine Leistung, die Fakultät über die Kriegszeit zu bringen, doch die zahlreichenden Mitwirkenden, u.a. ein Trägerverein, hatten in der Zeit der Sedisvakanz unglücklich agiert und kommuniziert und der Glaubwürdigkeit des Ordens geschadet.
Das Wirken deutscher Missionarinnen in Brasilien zwischen 1872 und 1963 stellte Paulo Fernando Diel (Paraná, Brasilien) ins Zentrum seiner Untersuchung. Er stellte 23 Frauenkongregationen vor, die Missionarinnen hauptsächlich in den Süden Brasiliens entsandten. Zwischen 1888 und 1930 gab es in Brasilien 73 Männerorden und 78 Frauengemeinschaften; einen Aufschwung kirchlichen Lebens gab es seit 1889, als Brasilien das Ancien Régime hinter sich ließ und zur Republik wurde. In Deutschland begünstigte der Kulturkampf den Schritt in die Missionen. In ca. 100 Jahren fanden 513 Sendungen von Missionarinnen mit insgesamt 2.218 Frauen statt. Die größten Anteile hatten die Steyler Missonsschwestern (331), die Schwestern von der göttlichen Vorsehung (309) und die Franziskanerinnen von Nonnenwerth (244). Diel hat alle 23 Kongregationen in akribischen Archivstudien zahlenmäßig erfasst und graphisch in ihrer Entwicklung dargestellt, ihre Verbreitungsgebiete kartiert sowie alle Aktivitäten erfasst. Diese umfassten die ganze Bandbreite von Schulen, Hospizen, Kindergärten, Waisenhäusern, Tätigkeiten in Kollegien, Krankenpflege, Lazaretten usw. Hinzu kommt die Untersuchung der sozialen Entwicklung der Kongregationen, d.h. wie deutsche und einheimische Schwestern – die Kongregationen hatten regen Zulauf – zusammenlebten und wirkten. Der Höhepunkt der Wirksamkeit lag im Jahr 1930, in dem 668 deutsche Missionarinnen entsandt worden waren. Das Durchschnittsalter der Missionarinnen lag bei 27,5 Jahren. Die Rückkehrerquote nach Deutschland betrug 36,9 % und die durchschnittliche Missionszeit lag bei 28 Jahren. Der Vortrag beschritt absolutes Neuland in der Missionsgeschichte, die unbedingt auch in ihren Rückwirkungen auf die deutsche Entwicklung der Gemeinschaften gesehen werden muss.
Markus A. Scholz (Sankt Georgen) beschäftigte sich in einem in der Anschubphase von der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) finanzierten Projekt mit Missionsgeschichtlichen Sammlungen der Orden. Dazu gehören Sammlungsobjekte aus den Bereichen der Völker- und Naturkunde sowie Dinge aus dem Umkreis von Missionsstationen oder aus dem persönlichen Besitz von Missionaren, die größtenteils im ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 1950er Jahre in die Sammlungen Eingang fanden. Gefragt wurde nach dem Verhältnis von Mission und Kolonialismus, dem Verhältnis von Mission und Wissenschaftsgeschichte und ob die Sammlungen historische Prozesse, wie beispielsweise den Wandel des Missionsverständnisses abbilden können. Nicht außer Acht gelassen werden darf dabei die ethnologische Provenienzforschung. In Deutschland gibt es in Ordensgemeinschaften ca. 50 Sammlungen. Davon sind 80% in Museen untergebracht, 20 % sind in Depots und Archiven eingelagert und 20 % sind in ihrem substanziellen Erhalt gefährdet. Bei 60% der Sammlungen gibt es keine den modernen Ansprüchen genügende museologische Dokumentation. Das Projekt sieht drei Phasen vor: Systematische Bestandserfassung und Inventarisierung, wissenschaftliche Auswertung und Multiplikation bzw. Kommunikation. Für die weitere Finanzierung ist ein Antrag beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gestellt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf die missionsgeschichtlichen Sammlungen, die von deutschen katholischen Missionaren in Lateinamerika oder mit ihrer Hilfe von Dritten angelegt wurden. Eine wichtige Rolle werden dabei Sammlungen in Bardel (Franziskaner), Limburg (Pallottiner) und Steyl (Gesellschaft des Göttlichen Wortes) spielen. Die missionsgeschichtlichen Sammlungen wurden zu wissenschaftlichen Zwecken angelegt, waren aber zugleich ein wertvolles Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit. Heute sind sie für viele Gemeinschaften eine Last. Das Projekt will dazu beitragen, diese Sammlungen aus einer neuen Perspektive zu sehen und ihr Überleben zu sichern.
Konferenzübersicht:
Clemens Brodkorb, München: “Je nun, das Kleid ist hin …” 250 Jahre Aufhebung des Jesuitenordens 1773-2023
Annegret Gellweiler, Esslingen: Die katholischen Schwesternstationen im Bistum Rottenburg 1933-1945
Robert Fischer, Molln (Österreich): Das Stift Seitenstetten zur Zeit der Äbte Hugo und Theodor Springer (1908 – 1958)
Michaela Žáková, Prag: Maria Theresianisches Damenstift auf der Prager Burg
Markus Helmut Lenhart, München: Der Erste Weltkrieg im Spiegel der Hauschroniken der Englischen Fräulein in der ehemaligen Ostbayerischen Provinz
Damian Bieger OFM, Dortmund: „Mit dem Mund voraus geboren!“. Der Franziskaner P. Gereon Goldmann ofm (1916-2003)
Maik Schmerbauch, Berlin, Leben und Wirken des Paters Kurt Dehne SJ (1901-1990) im Bistum Hildesheim
Klaus Schatz SJ, Berlin: Das Innsbrucker Canisianum im Walliser Exil und die Schein-Säkularisierung der Jesuiten (1938-45)
Paulo Fernando Diel, Paraná (Brasilien), “O feminismo religioso e emançipação da mulher brasileira” – Zum Wirken deutscher Missionarinnen in Brasilien (1872-1963)
Markus A. Scholz, Sankt Georgen: Missionsgeschichtliche Sammlungen
Die nächste Tagung des Arbeitskreises ist für den 7. bis 9. Februar 2025 in Vallendar geplant.
Kontakt zu den Leiterinnen des Arbeitskreises: Gisela Fleckenstein, E-Mail: g.fleckenstein@web.de und Carolin Hostert-Hack, E-Mail: caro.hostert@web.de.