Tagungsbericht – 25. Tagung des Arbeitskreises Ordensgeschichte 19./ 20. Jahrhundert

Ordensgeschichte 2025-02-11

Tagung in Vallendar. Foto: G. Fleckenstein

Vom 7. bis 9. Februar 2025 fanden sich im Vinzenz-Pallotti-Forum in Vallendar 23 Teilnehmende aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden zusammen, um Beiträge zur modernen Ordensgeschichte zu hören und zu diskutieren. Die Präsenzveranstaltung wurde geleitet von Gisela Fleckenstein und Carolin Hostert-Hack.

Die Arbeit mit archivischen Quellen ist für die Erforschung von Ordensgeschichte unverzichtbar. Wolfgang Schaffer (Brauweiler), stellte die Entwicklung der Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive (AGOA) in den Mittelpunkt seines Referates. Ihre Wurzeln hat die 1997 gegründete AGOA schon im Jahre 1966. Julius Kardinal Döpfner lud die Ordensoberenvereinigungen zur Mitwirkung in der damals neuen „Bischöflichen Hauptkommission für die kirchlichen Archive in Deutschland“ ein. Der Prämonstratenser und Ordenshistoriker Norbert Backmund (1907-1987) wurde in diese Kommission entsandt und er konnte weitere Aktivitäten auslösen. Allmählich verstanden auch die im 19. Jahrhundert gegründeten Kongregationen, dass sie sich fachgerecht um ihr Archivgut kümmern mussten. Seit den 1990er Jahren wurde vielen Gemeinschaften klar, dass sich aufgrund von Nachwuchsmangel ihr Ende absehen lässt und man sich die Frage nach einer Erinnerungskultur stellen muss. Die AGOA – mit 150 Mitgliedsgemeinschaften – ist an die Deutsche Ordensobernkonferenz angeschlossen und bewegt unter ihrem Motto „Heute das Gestern für Morgen bewahren“ die Archivlandschaft der Orden in eine Zukunft. Bei den Jahrestagungen werden alle archivischen Kernbereiche berücksichtigt. Mit Handreichungen und der Kirchlichen Archivordnung – Orden (KAO-O) macht sie die Archive handlungsfähig, so dass deren Überlieferung gesichert werden kann. In vielen Ordensgemeinschaften sind inzwischen Laien für das Archiv zuständig.

P. Klaus Schatz SJ (Berlin), sprach über die Entwicklung der Düsseldorfer Rednerturme. P. Joseph Schwarz begann 1897 mit religiös-wissenschaftlichen Monatsvorträgen bei der Marianischen Männerkongregation in der Düsseldorfer St. Rochus-Kirche. Waren es zunächst 20 Männer, so steigerte sich die Zuhörerzahl durch geschickte Werbung auf 1000 bis 1902 sogar auf 2000. P. Schwarz dehnte die Vorträge auf weitere deutsche Städte – mit Ausnahme Bayerns (Jesuiten-Verbot) – aus. Bereits 1912 hielt er, mit zwei weiteren Patres in 50 Städten regelmäßig philosophisch-theologische Vorträge. Die Hälfte der bis 1916 nur männlichen Zuhörer war zwischen 18 und 28 Jahren alt. Die Rednerturme waren in eine liturgische Veranstaltung eingebettet. 1927 war man in bereits 115 Städten mit ca. 40-50.000 monatlichen Zuhörern. Seit 1922 wurden die Vorträge als „Zeitfragen“ gedruckt. Ab 1934 setzte man sich auch – unter Vermeidung unmittelbarer politischer Fragen – mit der NS-Weltanschauung auseinander. Ein von den Nationalsozialisten 1938 erteiltes Reichsredeverbot beendete die Vortragsreisen. Nach dem Krieg erfuhren sie im Westen zwischen 1945 bis 1947 nur eine kurze Wiederbelebung. In der SBZ/DDR konnte sich von 1946 bis 1977 die Leipziger Rednerturme etablieren. Die Vorträge zu allen wichtigen kirchlichen Themen, die sich zwischen Volksmission und Erwachsenbildung bewegten, fanden in Westdeutschland ihr Ende durch das Aufkommen anderer katholischer Bildungseinrichtungen und in Ostdeutschland durch das Alter der Jesuiten. Die Vorträge konnten klare Antworten geben, doch neuere Bildungsansätze setzten auf die Form des Dialogs.

Der Münsteraner Fundamentaltheologe Johann Baptist Metz (1928-2019) gilt als Begründer der neuen Politischen Theologie. P. Dennis Halft OP (Trier) verfolgte diese Spuren im Dominikanerorden. Aus einem Treffen von ca. 50 jungen Theologie studierenden Dominikanern aus Europa im Herbst 1968 in Lorscheid (Hunsrück), entstand im Orden die transnationale Lorscheid-Bewegung. In Lorscheid wurde „Das Manifest“ verabschiedet. Die Lorscheid-Bewegung wollte die Aussagen von Metz – bei ihm promovierten zehn Dominikaner aus verschiedenen Ländern – in die Praxis umsetzen. Bestärkt wurden sie von Metz, der die Ordensgemeinschaften als Träger seiner neuen politischen Theologie sah, weil jeder Orden in sich schon eine Reform in der Kirche darstellte. Der Referent stellte die These auf, dass die Lorscheid-Bewegung den Versuch bildete, den Dominikanerorden auf der Grundlage der politischen Theologie umzustrukturieren, so dass er zum Träger der Kritik am kirchlichen und gesellschaftlichen Leben wird, also als institutionalisierte Kritik. Damit wäre die Lorscheid-Bewegung vermutlich das konkreteste Beispiel eines Subjekts der neuen politischen Theologie, dass die reale Wirklichkeit kritisch befragt. Die Lorscheid-Bewegung ist letztlich 1972 an der Ordenshierarchie gescheitert, da sie in den Provinzen nicht Fuß fassen konnte. Der Referent geht den schriftlichen Spuren nach, die diese Bewegung in Denkschriften und Manifesten hinterlassen hat.

Benedict Dahm (Münster) verfolgte eine ordensgeschichtliche Linie von der Himmels- zur Quantenmechanik. Ausgehend von einem Brief des Jesuiten und Inquisitors Kardinal Robert Bellarmin (1542-1621) an den Karmeliten und Mathematiker Paolo Antonio Foscarini (1565-1616) aus dem Jahre 1615, der bis 1990 nur teilediert war, kommt der Referent zu einer revidierten Verhältnisbestimmung von Theologie und Naturwissenschaft. Im Zentrum des Briefwechsels stand der Fall Galilei und es ging um die Beweglichkeit bzw. Unbeweglichkeit der Erde und um menschliche Beobachtung oder Glaube. Nachdem Foscarini das heliozentrische Weltbild und somit auch Galileis Ansichten verteidigt hatte, legte Bellarmin ihm die offizielle Haltung der Kirche zu diesem Problem dar, machte aber im letzten Satz deutlich “… weil es dem heiligen Glauben schaden könnte, indem es die Heilige Schrift als falsch darstellt“. Im Zweifelsfall – so das Trienter Konzil – war von der Auslegung der Schrift durch die Väter nicht abzugehen. Bellarmin riet, im Bereich der Hypothesen zu bleiben, die sich zur Beschreibung eignen und keine Behauptungen aufstellen. Zu dieser Zeit gab es auch für die Ansicht des Kopernikus noch keine handfesten Beweise. Bellarmin erkannte somit den Empirismus an. Bellarmin prägte im 17. Jahrhundert ein Wissenschaftsverständnis, das durch die Physik des 20. Jahrhunderts (Relativität und Quantenmechanik) plausibilisiert wurde. Die von Bellarmin eingenommene Position zeigt eine mögliche Anwendbarkeit des von Thomas S. Kuhn (1922-1996) eingeführten Paradigmenwechsels im Bereich der Theologie.

P. Peter van Meijl SDS (Wien) stellte den Weg zur Gründung des wissenschaftlichen Forschungsinstituts für salvatorianische Geschichte und Spiritualität in Wien und Gurtweil vor. Anlass zur Gründung war das Jubiläum 100 Jahre österreichische Provinz der Salvatorianer im Jahre 2023. Ein erster Schritt war 2016 die professionelle moderne und funktionale Ausgestaltung des Wiener Provinzarchivs. Nur ein geordnetes und zugängliches Archiv ermöglicht Forschung. Es gelang, das Interesse an salvatorianischer Geschichte beim Generalkapitel des Ordens zu wecken. Die Idee, in Wien und Gurtweil ein internationales Forschungszentrum für salvatorianische Geschichte einzurichten nahm allmählich Gestalt an und eine Arbeitsgruppe schuf Strukturen (Kuratorium, Beirat, Finanzplan usw.) damit das Institut seine Arbeit aufnehmen konnte. Jetzt kann das Institut Mitarbeiter einstellen. Aufgaben des Institutes sind die Erforschung der Geschichte des Ordens, die Sicherung der Quellen, die Vernetzung der Archive und Forschenden sowie die Publikation der Ergebnisse. Nicht zuletzt sollen durch das Institut Salvatorianer aus aller Welt bei ihren historischen Studien begleitet werden. Alles in allem eine zukunftsweisende Initiative.

Maik Schmerbauch (Berlin) referierte über die Jesuiten an der Sternwarte in Rom. Diese wurde im 16. Jhd. zur Durchführung der gregorianischen Kalenderreform durch Papst Gregor XIII. gegründet. Er ließ 1578 den „Turm der Winde“ errichten, den er den am Thema interessierten Jesuiten des Collegio Romano zur Verfügung stellte. Erster Leiter wurde P. Christoph Clavius (1538-1612). Die Jesuiten entwickelten alle Geräte, auch die parallaktische Montierung von Fernrohren. Die Arbeit der Jesuiten in Rom wurde während der Aufhebung des Ordens zwischen 1773 und 1814 unterbrochen. Einen Höhepunkt erreichte die Forschung im 19. Jhd. unter P. Angelo Secchi (1818-1878). Er nutzte als erster die Spektralanalyse, also die Zerlegung des Lichts, für die Sternenforschung. Er verlegte die Sternwarte auf das Dach der Kirche S. Ignatio in Rom. 1860 gelang im erstmals ein Foto von einer Sonnenkorona.

Wegen der zunehmenden Lichtverschmutzung wurde die Sternwarte 1930 – ausgestattet mit neuen Geräten – von Rom nach Castel Gandolfo verlegt. Die Forschungsabteilung befindet sich seit 1981 in Arizona. Es ist das modernste Zentrum für Astronomie. Für die Jesuiten war Glaube und Vernunft nie gegensätzlich. Eine Gruppe von Astereoiden trägt die Namen der berühmten Astronome, denen damit ein Denkmal für die Ewigkeit gesetzt ist. Die Geschichte der Sternwarte ist noch wenig erforscht, Akten wären vorhanden.

Eugène van Deutekom (Gemonde, NL) ging der Frage nach, was mit Pfarr- und Klosterkirchen, insbesondere aus dem 19. und 20. Jhd. passiert, die heute nicht mehr gebraucht werden. In den niederländischen Bistümern werden in den nächsten Jahren dramatisch viele Kirchen profaniert werden müssen, weil man für sie keine zukunftsfähige Verwendung hat und man die Kosten für eine bauliche Unterhaltung der meist denkmalgeschützten Objekte nicht mehr tragen kann. Aufgelassene Kirchen werden genutzt für kulturelle Veranstaltungen und Einrichtungen, als Kneipen, Hotels und Restaurants, als Büros, als Supermarkt, als Geisterbahn, als Kindergarten, als Pflegeeinrichtung oder auch von anderen Religionsgemeinschaften benutzt. Die neue Nutzungsarten stoßen bei den Gläubigen nicht immer auf Akzeptanz. Der Referent gab abschließend wertvolle Empfehlungen für die Einleitung einer Umnutzung, die auch im Abriss einer Kirche enden kann. Jeder Fall ist individuell und es bedarf eines behutsamen Vorgehens, wenn ein für alle akzeptables Ergebnis erzielt werden soll.

„Die Mutter mit dem geneigten Haupt“ ist ein Marienbild, welches seit 1936 in der Kirche St. Ignatius in Essen-Holsterhausen verehrt wird. Diese Kirche gehörte bis 2012 zum Jesuitenkloster, was aufgegeben wurde. Clemens Brodkorb (München) ging auf die besondere Bedeutung des Marienbildes für den Jesuitenorden ein. Das Bild, ein Kupferstich nach dem Gemälde eines Gnadenbildes aus dem Ursulinenkloster in Landshut, hat eine für Jesuitenorden bedeutende Geschichte. Es gehörte dem aus Amberg stammenden P. Martin Schwarz (1721-1788), der es mit in die Mission nach Südamerika genommen hatte. Er gehörte zu den 124 Jesuiten, die 1758 verhaftet, ausgewiesen und in der Festung St. Julian da Barra vor Lissabon eingekerkert wurden. Vor dem Marienbild feierten die Gefangenen während der 17jährigen Internierung Gottesdienst. Schwarz brachte das Bild mit, als er 1777 aus der Kerkerhaft entlassen wurde. Über verschiedenste Stationen gelangte das Bild 1871 wieder in die deutsche Jesuitenprovinz nach Köln und von dort aus wurde es nach Essen gegeben. In Essen werden dem Bild viele Gebetserhörungen zugeschrieben. Die Kirche St. Ignatius wird demnächst abgerissen, dort sollen Wohnungen entstehen. Das Gnadenbild soll einen Platz in einer noch einzurichtenden Kapelle im ehemaligen Pfarrheim erhalten. Doch eigentlich ist das Bild ein wichtiges Zeugnis für die Ordensgeschichte und ein Platz im Archiv hätte durchaus seine Berechtigung.

Gisela Fleckenstein OFS (Speyer) stellte in einem Kurzüberblick vom Mittelalter bis zur Gegenwart die Geschichte und die Entwicklung des franziskanischen Dritten Ordens (seit 1221/1289) für Laien dar, der heute Ordo Franciscanus Saecularis – Orden für franziskanische Weltleute heißt. Es handelt sich dabei um einen wirklichen Orden mit einem eigenen Partikularrecht, der dem Dikasterium für die Orden untersteht. Eine Mitgliedschaft bringt Verpflichtungen mit sich. Eine franziskanische Spiritualität hat sich aber im Laufe der Zeit über die franziskanischen Orden hinaus entwickelt, so dass Laien heute die Auswahl zwischen Gemeinschaften und Bewegungen mit einem unterschiedlichen Organisationsgrad und verschiedenen Stufen der Verbindlichkeit haben. Vorgestellt wurden beispielhaft die Gefährten des hl. Franziskus (seit 1927), die Weggemeinschaft Koinonia der Salzkottener Franziskanerinnen (seit 1995) sowie die Bewegung Vivere (seit 2015). Die Spiritualität von Franziskus und Klara von Assisi ist universell und nicht fest an einen Orden gebunden.

Termine und Kontakt

Die nächste Tagung des Arbeitskreises Ordensgeschichte 19./20. Jahrhundert ist geplant für den 20. – 22. Feb. 2026 in Vallendar.

Kontakt zu den Leiterinnen des Arbeitskreises: Gisela Fleckenstein, E-Mail: g.fleckenstein(at)web.de und Carolin Hostert-Hack, E-Mail: caro.hostert(at)web.de

Konferenzübersicht

Wolfgang Schaffer, Brauweiler:  Die Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive (AGOA)

Klaus Schatz SJ, Berlin: Zwischen Volksmission und Erwachsenenbildung: Die Vorträge der Düsseldorfer Jesuiten (1897-1938)

Dennis Halft OP, Trier: Dominikaner und die Anfänge der neuen Politischen Theologie

Benedict Dahm, Münster: Von der Himmels- zur Quantenmechanik. Ein ordensgeschichtlicher Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Theologie und Naturwissenschaft

Peter van Meijl SDS, Wien: Die Gründung des wissenschaftlichen Forschungsinstituts für salvatorianische Geschichte und Spiritualität

Maik Schmerbauch, Berlin: Jesuiten an der Sternwarte in Rom

Eugène van Deutekom, Gemonde (NL):  Zum Schicksal von Klöstern und Klosterkirchen in den Niederlanden

Clemens Brodkorb, München:  Die „Mutter mit dem geneigten Haupt“. Ein „Gnadenbild“ der deutschen Jesuiten

Gisela Fleckenstein OFS, Speyer: Franziskanische Lebensformen. Der Dritte Orden und moderne Ausprägungen

Gisela Fleckenstein, Speyer