Buchankündigung: „Himmlische Klänge. Eine Geschichte der Waldsassener Kirchenmusik“
Ordensgeschichte 2020-07-11
Wie für allen vormodernen Klöster lässt sich auch für das Stift Waldsassen keine konsistente Musikgeschichte schreiben. Die Quellenlage ist hier besonders ungünstig, weil alle Abteien der Oberen Pfalz bereits im 16. Jahrhundert im Zuge der Säkularisation aufgehoben wurden. Im Zuge dieser Entwicklungen gingen sämtliche liturgischen Bücher und fast alle anderen musikhistorischen Quellen verloren. Die zweite Säkularisation im Jahr 1803 brachte einen weiteren erheblichen Quellenverlust mit sich.
Die Knappheit an Belegen ist aber natürlich kein Rechtfertigungsgrund, das Thema völlig ad acta zu legen, wie es nach Mettenleiters Musikgeschichte weitgehend der Fall war. Lediglich zur Orgelgeschichte gab es eine nennenswerte Zahl an Vorarbeiten. So unternahmen es die Autoren des Bandes „Himmlische Klänge. Eine Geschichte der Waldsassener Kirchenmusik“ zusammenzuführen, was an weiterem Material auffindbar war.
Etwa die Hälfte der Publikation widmet sich der Kirchenmusik im 19. und 20. Jahrhundert, nun nicht mehr von Mönchen getragen, sondern von weltlich-bürgerlichen Akteurinnen und Akteuren. Hier konnten beispielsweise die bisher völlig unbekannten Aktivitäten des Waldsassener Kirchenchores nachgezeichnet werden, der in den Jahren um 1900 eine linientreu cäcilianische, als hochrangig anerkannte Sakralmusik aufführte.
Aus vormoderner Zeit trat bei den Recherchen eine Reihe bisher unbeachteter Quellen zutage. Als Musikhandschrift Waldsassener Provenienz aus dem Mittelalter ist eine Doppelseite in dem Sammelkodex Clm 14156 der Bayerischen Staatsbibliothek München greifbar. Es handelt sich um eine gesungene Rezitation der Genealogie Jesu in Mt 1,1–16. Gelegentlich wird man auch in der Hauschronistik zu musikalischen Themen fündig.
Spätestens im frühen 16. Jahrhundert gab es im Waldsassener Münster eine Orgel. Nach dem barocken Neubau entstand zunächst das große Instrument auf dem Westchor. Der Einbau einer Chororgel im Jahr 1716 zeigt an, dass zumindest jetzt Teile des Opus Dei mit Begleitung gesungen wurden, wie es die Fürstenfelder Äbtekonferenz bereits 1595 vorgegeben hatte. Vom barocken Zustand zeugt heute nur noch das Gehäuse der Hauptorgel. Doch mit diesen Instrumenten auch wurde die Grundlage für eine hochstehende Orgelkultur in Waldsassen gelegt, die in der Errichtung groß angelegter Instrumente mit überregionalem Renommee 1914 und in den 1980er Jahren kulminierte.
Eine Neuentdeckung der Waldsassener Musikgeschichte war das Noviziat als Produktionsstätte für Choralbücher. Die Herstellung je eines Bandes durch einen Noviziats-Jahrgang diente offenbar als Einübung in die monastische Liturgie, gleichsam in Form eines „Unterrichtsprojekts“. Beim ältesten erhaltenen Beispiel handelt es sich um ein Manuskript eines Psalteriums aus dem Jahr 1720 (Provinzialbibliothek Amberg, Theol. lit. 48). Jüngere Beispiele aus den Jahren 1760–84 wurden mittels Schablonentechnik hergestellt (Provinzialbibliothek Amberg, Theol. lit. 36 u. 51 sowie zwei Exemplare in der Bibliothek der Zisterzienserinnenabtei Waldsassen). In diesen Kodizes konnten auch Hymnen wiederentdeckt werden, die in Waldsassen eigens für die Tagzeitenliturgie des Heilige-Leiber-Fests auf traditionelle Hymnenmelodien gedichtet wurden, nachdem Generalabt François Trouvé dem Kloster 1756 dessen jährliche Feier als Hochfest gestattet hatte. Nach der Säkularisation gerieten sie in Vergessenheit. Auf der beigefügten Audio-CD sind sie nun wieder zu hören, vorgetragen von der Choralschola der Basilika Waldsassen.
Nur in Einzelaspekten konnte die Geschichte des Singknabenseminars ermittelt werden, doch erhielten in Waldsassen wie in allen Stiften Jungen eine „gymnasiale“ und musikalische Ausbildung und hatten für die Figuralmusik die Sopran- und Altstimmen zu stellen.
Über das kirchenmusikalische Repertoire bis 1803 gibt es kaum Quellen. Doch sind in einem Säkularisations-Inventar 68 Sinfonien und eine Reihe kammermusikalischer Werke verzeichnet. Sie kamen wohl nicht allein bei weltlichen Gelegenheiten wie repräsentativen Festen oder der Bewirtung hochrangiger Gäste zum Einsatz, sondern auch als Gradualmusik während der Messe. Gespielt wurden – wie in den Klöstern um 1800 allgemein üblich – Werke von Komponisten, die nach traditioneller Klassifizierung der „Frühklassik“ zugeordnet werden.
„In conspectu angelorum…“ – Darstellung des hl. Bernhard am Chorgestühl der Stiftsbasilika Waldsassen
Ein eigenes Kapitel ist der Stiftskirche als Raum der Musik gewidmet. Wie in vielen katholischen Gotteshäusern wurde der Psalmvers „In conspectu Angelorum psallam tibi“ (Ps 138,1c) durch die Präsenz zahlreicher Engel und Putti im Deckenstuck und im geschnitzten Chorgestühl zu einer „physischen Tatsache“. Der Gurtbogen vor dem Musikchor im Westen ist mit einer enzyklopädischen Ansammlung stuckierter Musikinstrumente verziert, das anschließende Deckenjoch zeigt Fresken eines Engelsorchesters sowie in zwei Medaillons die Heiligen der Kirchenmusik, David und Cäcilia. „Zusammen mit den Gläubigen“ musizieren auch etliche geschnitzte Engel am Orgelprospekt. Deutlich wird: Das barocke Design zielte darauf ab, den Anwesenden zu verdeutlichen, dass die irdische Liturgie als Zusammenklang mit der himmlischen zu verstehen war, etwa im Gloria und im Sanctus, in dem die feiernden Menschen in den Gesang der Engel einstimmten.
Das Buch erscheint im November 2020.