Tagungsbericht 2021 Arbeitskreis Ordensgeschichte 19/ 20. Jhd.

Ordensgeschichte 2021-07-11

21. Wissenschaftliche Fachtagung des Arbeitskreis Ordensgeschichte 19./20. Jahrhundert am 23. Januar 2021 am Institut für Theologie und Geschichte religiöser Gemeinschaften (IRG) der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar

In diesem Jahr waren 31 an der modernen Ordensgeschichte interessierte Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus Deutschland, Österreich, Belgien und den Niederlanden aufgrund der Covid-19-Pandemie zu einer eintägigen Onlinekonferenz zusammengeschaltet. Moderiert wurde die Tagung von Joachim Schmiedl (Vallendar) und Gisela Fleckenstein (Speyer). Die Tagung bot ein buntes Bild an Themen: Heilige, kriminelle Machenschaften, Missbrauch, Lebensgeschichtliches und Untergegangenes.

Stift Börstel ist ein ehemaliges Zisterzienserinnenkloster im Osnabrücker Land und heute ein freiweltliches Damenstift. Kapitularin Johanna Pointke (Stift Börstel) stellte unter dem Aspekt der „Weltlichkeit“ Entwicklungen des Stiftes vor. Grundlage für die Existenz des Stiftes sind Vermögenswerte und Immobilien, vor allem Forstbesitz, die vom Stiftskapitel, der geistlichen Gemeinschaft der Kapitularinnen, die auch eine Stiftung des Öffentlichen Rechts sind, verwaltet werden. Gegründet 1244 wechselte das Stift in der Reformation zu einer Mischform von katholischen und lutherischen Gottesdiensten. In der Folge des Westfälischen Friedens von 1648 wurde die bis heute gültige Regelung festgeschrieben, dass dem (hochadeligen) Kapitel acht evangelische, darunter die Äbtissin, und zwei katholische Stiftsdamen angehören sollen. In der Aufklärung sah man keinen Sinn mehr im Chorgebet der Stiftsdamen. Das Stift gehörte im Fürstbistum Osnabrück zur Osnabrücker Ritterschaft und war damit im weltlichen Bereich verankert. Äbtissin Therese von Dincklage (1902-1947) reformierte das Stift, was aber in den Augen der Finanzbehörden ein Wirtschaftsunternehmen war; das Stift untersteht als Stiftung der Rechtsaufsicht des Landes. Erst 1956 wurde das Kapitel mit einer neuen Satzung wieder zu einer geistlichen Gemeinschaft, die Gottesdienste und Tagzeitengebete nach dem Vorbild der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé pflegt. Seine „Weltlichkeit“ hatte das Stift im 19. Jahrhundert gerettet, aber im 20. Jahrhundert gefährdet.

P. Marinus Parzinger OFMCap (Altötting) sprach über die Bruder-Konrad-Verehrung von 1912 bis heute. Der Kapuziner Konrad von Parzham (Johannes Birndorfer 1818-1894), der 1849 in Altötting in den Orden eintrat, war 41 Jahre lang Pförtner des Klosters am Marienwallfahrtsort. Ihn zeichneten seine Liebe zu den Menschen und seine Liebe zu Gott aus und er stellte für das Kloster die Verbindung zwischen innen und außen her. Schon zu Lebzeiten wurde er als Heiliger gehandelt. 1912 begannen die ersten Arbeiten für seine Seligsprechung. Der Prozess wurde zügig geführt, erfuhr aber durch den Weltkrieg eine Verzögerung. 1926 wurde ein Heilungswunder anerkannt und 1930 wurde Konrad von Papst Pius X. selig und 1934 heiliggesprochen. Nach Fidelis von Sigmaringen (1776) gab es erstmals wieder einen deutschen Heiligen. Die Nationalsozialisten versuchten sein Image zu sabotieren (fauler Mönch, der den familieneigenen Hof nicht weitergeführt hat), doch dies tat der Verehrung keinen Abbruch. Die Kapuziner bauten die Gedenkstätten in Altötting publikumsfreundlich um und aus und besonders durch die Missionstätigkeit der Kapuziner fand der Heilige weltweite Beachtung. Bis heute wurden zahlreiche kirchliche und weltliche Einrichtungen nach Bruder Konrad benannt und viele wählten ihn als Patron (ca. 150 Kirchen). Nachdem das Amt des Ostiariers (Türstehers) kirchlich wieder aufgewertet wurde, erhält Konrad von Parzham, dessen Verehrung sehr lebendig ist, noch einen weiteren aktuellen Bezug.

Klaus-Peter Grünschläger/ Ulrich Zimmerer (Ludwigshafen) stellten eine Form des Missbrauchs in der Erziehung im Fidelis-Kolleg der Kapuziner im hessischen Bensheim dar. Im Kolleg waren alle der autoritären Strenge von P. Otto W. (geb. 1897) unterworfen. Dessen Ziel war die unidirektionale Erziehung der Schüler zu Kapuzinern („Kapuzinerfabrik“). Jungen, die in den Verdacht gerieten, dies nicht werden zu wollen, wurden hinausgeworfen. Antipode von „Bruder Kain“, wie P. Otto in seinem Tagebuch nannte, war Frater Colestin OFMCap (Hans-Günther Geibel, 1925-1984). Er selbst nannte sich Quasimodo. Geibel kam aus einem nationalsozialistischen Elternhaus, war Soldat in der Wehrmacht und wurde dort mit unmenschlichen Herausforderungen konfrontiert und traumatisiert. Von 1946-1951 studierte er Mathematik und Physik und fand über den Studentenpfarrer den Weg zum Glauben und in den Kapuzinerorden. Den Priesterberuf lehnte er für sich ab und wurde 1951 Lehrer am Fidelis-Kolleg, bis er 1963 von P. Otto hinausgeworfen wurde. Frater Coelestin war aufgrund seiner Ausstrahlung und seiner Menschlichkeit und seiner Hinterfragung des christlichen Handelns seines Vorgesetzten für viele Schüler des Internates ein psychischer Rettungsanker. Er wollte die Schüler zunächst bis zum Abitur bringen, dann sollte eine Berufswahl erfolgen. Grünschläger und Zimmerer waren selbst am Fidelis-Kolleg und haben 2020 – zusammen mit Franz Josef Schäfer – das Tagebuch von Frater Coelestin unter dem Titel „Hitlerjunge-Soldat Mönche. Ein Leben unter zwei Kreuzen“ kommentiert veröffentlicht.

Seit einigen Jahren betreibt das Hessische Landesamt für geschichtliche Landeskunde im Rahmen seines Landesgeschichtlichen Informationssystems (LAGIS) ein Klostermodul (Klöster und Orden), das eine Vielzahl an Informationen und Recherchemöglichkeiten zu Klöstern, Stiften, Klosterhöfen und Termineien anbietet (https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/intro/sn/kl). Ulrich Ritzerfeld und Roswitha Kraatz (Marburg) stellten das Projekt vor. Alle Orden und geistliche Gemeinschaften (Kongregationen), die im heutigen Hessen vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhundert eine Niederlassung hatten, werden erfasst. Bislang gibt es 767 Datensätze, von denen sich 337 auf das 19. und 20. Jh. Beziehen. Das Modul nutzt die technischen Möglichkeiten und stellt zum Teil Bildmaterial, Lagepläne und Rekonstruktionszeichnungen zur Verfügung. Die Recherchemöglichkeiten werden u.a. durch die Verknüpfung mit korrespondierenden Modulen, wie dem Datenbestand der Denkmalpflege, mit der Hessischen Biographie, interaktiven Kartendarstellungen und dem Archivsystem Arcinsys erweitertet. Die Datenbank ist im Aufbau. Gerne können Wissenschaftler, Experten und Ordensgemeinschaften Daten zur Ergänzung beitragen. Das Projekt ist eine Pionierleistung für ein Online-Klosterbuch und lädt auch zum Stöbern ein.

Die Förderung der Orden durch Bischof Georg Anton von Stahl von Würzburg (1840-1870) ist Thema des Habilitationsprojektes von Johanna Konrad-Brey (Würzburg). Die Zeit des Episkopats steht dabei für den „Frauenkongregationsfrühling“ der anhand der drei großen Frauenordensgemeinschaften im Bistum untersucht werden soll: Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen im ehemaligen Zisterzienserkloster Himmelspforten, der Kongregation der Töchter des Göttlichen Erlösers bzw. der Schwestern des Erlösers und der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu vom Dritten Orden des heiligen Franziskus (Oberzeller Franziskanerinnen). In der Arbeit sollen Erklärungen für den Ordensfrühling gesucht werden. Dabei hilft wahrscheinlich ein Blick nach Frankreich, wohin Bischof Stahl Kontakte hatte, wodurch die Niederbronner Schwestern ins Bistum kamen, von denen sich dann die Erlöserschwestern abtrennten. Antonie Werr, die Gründerin der Oberzeller Franziskanerinnen nahm ihre Idee der Fürsorge für gefallene Frauen auch aus dem französischen Raum. Aus dem Rahmen der überwiegend sozial-caritativen Neugründungen fallen die kontemplativen Karmeliterinnen. Bei deren Gründung lassen sich Allianzen und Netzwerke untersuchen, die letztlich auch zur Finanzierung beitrugen. Die kontinuierliche Finanzierung und das ökonomische Verhalten der Gemeinschaften waren entscheidend für ihren Bestand. Dies zu untersuchen wird ein Schwerpunkt der Arbeit.

Reimund Haas (Köln) brachte einen Baustein aus Vorarbeiten für das leider nicht mehr weitergeführte Projekt „Klosterbuch des Ruhrgebietes“ in die Tagung ein. Das Gebiet des 1958 gegründeten Bistums Essen gehörte im 19. und 20. Jh. mit 450 Klöstern (1970) zu den größten deutschen Klosterlandschaften. Das Ruhrgebiet, das rheinische und westfälische Anteile hat, erlebte ab 1802 den ersten großen Säkularisationsprozess mit der kirchlichen und staatlichen Auflösung von Klöstern und Abteien. Damit einher ging die Auflösung von Archiven und Bibliotheken, die meist nur noch bruchstückhaft im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen überliefert sind. Auskunft darüber geben des Nordrheinische und das Westfälische Klosterbuch. Viel schwieriger sind die Auswirkungen der zweiten Säkularisierungswelle auf Archive und Bibliotheken zu greifen. Die Klosterselbstauflösungen beginnen in der Epoche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Ordensgemeinschaften verlieren seitdem kontinuierlich Mitglieder. Häuser werden entweder aufgelöst oder an ausländische Gemeinschaften übergeben. Im Bistum Essen sind Schwestern aus zehn indischen Ordensgemeinschaften in Krankenhäusern und Altenheimen präsent. Der Umgang mit Archiven und Bibliotheken spielt aus Bistumssicht im Grunde keine Rolle. Außer in Bochum-Stiepel (Zisterzienser) und Duisburg-Hamborn (Prämonstratenser) dürfte es keine größeren Klosterbibliotheken mehr geben.

Am 15. Mai 2021 wird in Rom Pater Franziskus Maria vom Kreuze Jordan (1848-1918) seliggesprochen. Der Gründer der Salvatorianer und Salvatorianerinnen starb im Rufe der Heiligkeit und sein Prozess wurde bald nach seinem Tod eingeleitet. Doch es wurde kein „Santo subito“ (was in Rom gut organisiert oder manipuliert möglich ist), sondern ein Marathonlauf. P. Peter van Meijl SDS (Wien), letzter Postulator in diesen Prozess, erläuterte die Zusammenhänge. Die Causa von Franziskus Jordan war schicksalshaft mit den Prozessen von Schwester Franziska Streitel (1844-1911) und Therese von Wüllenweber (1833-1907, seliggesprochen 1968), die beiden von Jordan gegründeten Gemeinschaften angehörten. Therese von Wüllenweber hat als Schwester Maria von den Aposteln den Gründer immer in den Mittelpunkt gestellt. In ihrem Testament hatte sie die Schwestern verpflichtet, ihm treu zu bleiben. Sie starb als anerkannt tatkräftige und apostolische Frau, aber nicht im Ruf der Heiligkeit. Ihr Prozess wurde 46 Jahre nach ihrem Tod von einem außenstehenden, ehrgeizigen, leider auch korrupten Postulator und mit Geld, Lügen und Intrigen durchgeführt. Das war möglich, weil auch im Vatikan ein korruptes System herrschte, das die ehrgeizige Generaloberin der Salvatorianerinnen damals ausnützte. Die Salvatorianer hatten bis zum Ende des Prozesses von Wüllenweber keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen und ließen den Prozess des Gründers danach 20 Jahre liegen. Es ist dem Jesuiten Pater Peter Gumpel zu verdanken, dass der Prozess von Pater Jordan wieder aufgenommen werden konnte. Nach seinem Vorschlag haben die Schwestern das geschichtliche Bild der Seligen Therese von Wüllenweber, dass in ihrem Seligsprechungsverfahren falsch oder einseitig war, schrittweise und erfolgreich neu aufgearbeitet und damit den Weg für P. Jordan frei gemacht.

Der Beitrag zur Gründung der Schönstatt-Patres in der DDR von P. Elmar Busse ISch steht noch in keinem Geschichtsbuch. Er berichtete aus eigener Erfahrung. Die größten Ordensgemeinschaften auf dem Gebiet der DDR waren die Jesuiten (ca. 35-50), die Franziskaner (ca. 40) und die Redemptoristen (ca. 15). Alle anderen Gemeinschaften hatten Mitgliederzahlen von unter zehn Personen, so dass ein geflügeltes Wort lautete „Zuviel zum Sterben, zu wenig zum Leben“. Diese, so Busse, berechtigte Skepsis brachte auch der Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck (1909-1981) dem Unternehmen Schönstatt entgegen. Seit 1950 gab es in der DDR eine eigene Provinz der 1926 gegründeten Schönstätter Marienschwestern. Im Schönstatt-Zentrum Friedrichsroda gab es spirituelle Angebote für verschiedene Schönstatt-Gruppierungen, darunter auch Jugendtagungen. In den Augen der Staatssicherheit war die Schönstattbewegung uninteressant, da sie sich nicht in der Friedenserziehung und in Umweltfragen betätigte. Reine Frömmigkeit galt als harmlos. Die Idee, ein eigenes Noviziat der Schönstatt-Patres zu gründen, entstand 1968 bei einem Treffen in Polen, wo Schweizer und Deutsche Jugendliche und der Schönstatt-Bewegung angehörige Priester zusammentrafen. Es fanden in verschiedensten Konstellationen weitere Treffen in Ostberlin, in Ungarn und der Tschechoslowakei statt. Da alle sechs Interessenten (2 Kapläne und 4 Studenten) zum Bischöflichen Amt Erfurt-Meiningen gehörten, wurde mit Erlaubnis des Bischofs von August 1972 bis August 1973 in Eisenach ein Quasi-Noviziat begonnen, was gegenüber der Pfarrei als Teamexperiment ausgegeben wurden. Zum Unterricht kamen Patres mit beschränktem Visum jeweils aus dem Westen. Drei Kandidaten (Priesterweihen 1978 und 1980) schlossen das Noviziat ab und damit war die Gemeinschaft errichtet, die nach komplizierter Klärung des Rechtsstatus 1978 ganz offiziell Säkularinstitut der Schönstatt-Patres wurde. Bis zur politischen Wende 1989 gab es vier weitere Kandidaten, die sich aber anders entschieden.

Die nächste Tagung des Arbeitskreises ist für den Jahresbeginn 2022 vorgesehen, aber aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie, die keine wirklichen Planungen erlaubt, noch nicht festgelegt.

Kontakt: Gisela Fleckenstein, E-Mail: g.fleckenstein@web.de oder Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar. Institut für Theologie und Geschichte religiöser Gemeinschaften P. Joachim Schmiedl ISch, Pallottistr. 3, 56179 Vallendar, E-Mail: jschmiedl@pthv.de

Konferenzübersicht:

Kapitularin Johanna Pointke (Stift Börstel): Weltlichkeit. Das Kapitel des Freiweltlichen Stifts Börstel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts P. Marinus Parzinger OFMCap (Altötting): Vom Klosterpförtner zum Heiligen. Die Verehrung von Bruder Konrad von 1912 bis heute Klaus-Peter Grünschläger/ Ulrich Zimmerer (Ludwigshafen): Bruder Kain – Frater Coelestin OFMCap und die Erziehung in katholischen Ordensinternaten Ulrich Ritzerfeld/ Roswitha Kraatz (Marburg): Projektvorstellung Hessisches Klostermodul Johanna Konrad-Brey (Würzburg): Die Förderung der Orden durch Bischof Georg Anton Stahl von Würzburg (1840-1870) – Voraussetzung, Durchführung, Zielsetzung Reimund Haas (Köln): Was ist aus den beiden Säkularisationswellen von Klöstern und Klosterbibliotheken im Ruhrgebiet geworden und erhalten geblieben? P. Peter van Meijl SDS (Wien): Der lange Weg zur Seligsprechung von P. Franziskus Jordan P. Elmar Busse ISch (Dernbach): Die Schönstatt-Patres in der DDR

Gisela Fleckenstein OFS