„Carolingian Culture at Reichenau & St. Gall“ – Karolingische Handschriften aus dem Bodenseeraum

Bibliotheca Laureshamensis ‒ digital: Blog 2013-10-31

Von 2004 bis 2008 entstand an der University of California in Los Angeles, gefördert von der Andrew W. Mellon Foundation, eine digitale Publikation des berühmten, etwa in den 820er Jahren entstandenen „St. Galler Klosterplans“ mit dem Grundriss eines karolingischen Idealklosters. Im Anschluss begann man, eine Auswahl von 169 karolingerzeitlichen Handschriften aus dem ehemaligen Bibliotheksbestand von St. Gallen und aus dem benachbarten Kloster auf der Bodenseeinsel Reichenau in einer virtuellen Bibliothek zusammenzustellen, um den kulturellen Hintergrund des Klosterplans sichtbar und erforschbar zu machen.

Die virtuelle Bibliothek bietet mittlerweile digitale Reproduktionen aller 169 Handschriften, deren Hauptteil aus der Stiftsbibliothek St. Gallen und der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe stammt. Die Digitalisate werden mit kodikologischen Erschließungsinformationen (Entstehungsort und -zeit, Aufbau des Buches und Anlage der Seite) sowie Daten zum Inhalt angereichert und die Texte in ihrer Struktur bis auf Kapitelebene erschlossen. Hinzu treten Angaben und manchmal auch direkte Links zu modernen Textausgaben und Übersetzungen sowie Links zu Literaturdatenbanken und mediävistischen Fachlexika. Über eine Recherchemaske können die erhobenen Metadaten zum Inhalt – teils frei, teils gezielt nach ausgewählten Kategorien – durchsucht werden. Einen leichten Einstieg in die Lektüre einiger Handschriften (z.B. St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 914) gewähren die hinzugefügten „Transkriptionen“, auch wenn diese nicht die jeweilige Handschriftenvorlage abbilden, sondern einer modernen Textausgabe entnommen sind. Für Anfänger interessant ist eine kurze Einführung zum Lesen karolingischer Handschriften, auch für Fortgeschrittene aufschlussreich sind die Hintergrundtexte („Tours“ oder „Virtual Exhibitions“ genannt) zu den Bibliotheken und zur Buchproduktion in den beiden Klöstern aus dem Bodenseegebiet.

Die unter dem Titel „Carolingian Culture at Reichenau & St. Gall. The Carolingian Libraries of St. Gall and Reichenau“ laufende virtuelle Bibliothek zielt zwar nicht auf eine digitale Reproduktion und Erschließung sämtlicher erhaltener Handschriften aus St. Gallen und von der Reichenau. Durch den Schwerpunkt, den die karolingerzeitlichen unter den Lorscher Manuskripten bilden, und die Zielsetzung, relevante Corpora Wissenschaftlern wie weiteren Interessierten zugänglich zu machen, sind beide Projekte aber dennoch miteinander verbunden. Insbesondere die technische Umsetzung des UCLA-Projektes, Digitalisate, Metadaten und Transkriptionen nicht nur zu verlinken, sondern auf einer Browser-Seite gemeinsam darzustellen, zeigt Zukunftsperspektiven bis hin zu digitalen Editionen auf.