750 Jahre Schottenpfarre (II): Eine Vorgeschichte der Fälschungen
Archiv des Schottenstifts 2016-02-27
Wir haben an dieser Stelle bereits berichtet, dass das Schottenstift 1265 bzw. 1269 Pfarrrechte für die Schottenkirche erlangte, weshalb die Schottenpfarre derzeit ihr 750jähriges Bestehen feiert (s. 750 Jahre Schottenpfarre (I): Ein Schiedsspruch). Doch wie kam es eigentlich dazu?
In Wien gab es im Mittelalter ursprünglich nur eine Pfarre, deren Sitz seit Mitte des 12. Jahrhunderts die Kirche St. Stephan war. Das Pfarrgebiet umfasste weite Teile des heutigen Wiener Stadtgebiets südlich der Donau (und darüber hinaus). Circa 1221 kam als zweite Stadtpfarrkirche St. Michael hinzu; möglicherweise war diese zunächst aber auch nur eine Filialkirche der Wiener Pfarre.
Das 1155 gegründete Schottenstift besaß zwar die Wiener Kapellen St. Peter, Maria am Gestade und St. Ruprecht, doch sowohl diese drei als auch die Stiftskirche selbst gehörten zum Pfarrsprengel der Stephanskirche. Im Bemühen, sich gegen den Pfarrer von St. Stephan sowie die Bistumspläne des Herzogs abzusichern, ließ das Schottenstift in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts mehrere Privilegien fälschen, die nun unter anderem das Begräbnisrecht – ein Pfarrrecht! – sowie den Besitz der Kapelle St. Pankraz am Hof beinhalteten.
Im Jahr 1258 brannte die Stephanskirche nieder; während des Wiederaufbaus fanden die Pfarrgottesdienste in der Schottenkirche statt. Um dieses Privileg nicht mehr abgeben zu müssen, ließen die Schotten unter Abt Philipp I. eine gefälschte Stiftungsurkunde ihres Gründers Herzog Heinrich II. Jasomirgott (datiert 1158) anfertigen, die neben Niedergerichtsbarkeit und Asylrecht ausdrücklich bestimmte Pfarrrechte wie das Begräbnisrecht und die Sakramentenspendung im heutigen 1. und 9. Bezirk zwischen Tiefem Graben, heutiger Sensengasse und der Mündung des Alsbachs in die Donau beinhaltete.
Warum wählte man für die Fälschung das Jahr 1158, das sich in der Folge jahrhundertelang als (falsches) Gründungsdatum des Schottenstifts verbreitete, und nicht etwa 1155, das eigentliche Gründungsjahr, oder 1161, das Jahr der Stiftungsurkunde Heinrichs II.? Nun, im Gegensatz zu 1155 war Heinrich II. 1161 bereits Herzog von Österreich, was ihm als Urkundenaussteller mehr Gewicht verlieh. Gleichzeitig konnte man sich aber anders als bei 1161 beim Jahr 1158 auf ein hundertjähriges Bestehen des Privilegs berufen.
Die Fälschung wurde von einem im Dienste des Landesfürsten König Ottokar II. Přemysl stehenden Kaplan Nikolaus erstellt, der allerdings bereits 1261 seine Tat gestand, was sich in einem heute im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München befindlichen Passauer Protokoll nachlesen lässt. Die „originale“ Fälschungsurkunde war jedenfalls im 16. Jahrhundert noch im Stiftsarchiv vorhanden, ist uns heute aber nur aus Abschriften überliefert, etwa diesem Vidimus des Passauer Bischofs Bernhard von Prambach aus dem Jahr 1304.
Urk 1304-02-01.1 Vidimierung der (gefälschten) Stiftungsurkunde durch Bischof Bernhard von Prambach (1304): Ausschnitt mit Nennung der Pfarrrechte für die Schottenkirche und des Besitzes von St. PankrazWenig überraschend kam es in dieser Angelegenheit zum Streit zwischen dem Schottenstift und dem Wiener Pfarrer Gerhard von Siebenbürgen. Es ist aber festzustellen, dass die Schotten nicht die einzigen waren, die in dieser Zeit bemüht waren, möglicherweise faktische Gegebenheiten rechtlich abzusichern. Ähnliche Auseinandersetzungen führt der Wiener Pfarrer in diesen und den folgenden Jahren nämlich auch mit dem Bürgerspital, dem Himmelpfortkloster und dem Magdalenerinnenkloster.
Als die Stephanskirche im Jahr 1263 neu geweiht und damit wieder benutzbar wurde, musste eine Lösung gefunden werden. Der Passauer Bischof Otto von Lonsdorf entschied, dass die Schotten ihre vier Wiener Kapellen behalten sollten; außerdem erhielten sie das Begräbnisrecht für Fremde, Gäste und Personen, die dies testamentarisch wünschten, das Recht zur Wasser-, Aschen- und Palmweihe, das Taufrecht für ein oder zwei Kinder zu Ostern und zu Pfingsten sowie das Recht auf Sakramenten- und Sakramentalienspendung für die eigene familia zugesprochen. Hingegen blieben ihnen direkte Pfarrrechte, vor allem das Recht auf allgemeine Sakramentenspendung (Taufe, Eucharistie, Buße), verwehrt.1
Weil die Schotten mit dieser Entscheidung des Bischofs unzufrieden waren, appellierten sie an den Papst. In weiterer Folge kam es am 28. August 1265 zu jenem Schiedsspruch, mit dem das Schottenstift fast volle Pfarrrechte erhielt – mehr dazu im vorherigen Beitrag.
- Den besten Überblick zu den geschilderten Abläufen bieten: Anton Mayer, Das kirchliche Leben und die christliche Caritas (Wohlthätigkeitsanstalten), in: Geschichte der Stadt Wien. Bd. 1: Bis zur Zeit der Landesfürsten aus habsburgischem Hause, hg. vom Alterthumsvereine zu Wien (Wien 1897) 445–480, hier 465f.; Karl Lechner, Die Gründungsgeschichte und die Anfänge der Schottenabtei in Wien, in: 800 Jahre Schottenabtei. Die Anteilnahme der Wiener Katholischen Akademie am Jubiläum der Benediktinerabtei Unserer Lieben Frau zu den Schotten in Wien im Jahre 1958, hg. von Ferdinand Krones (Religion, Wissenschaft, Kultur. Vierteljahrsschrift der Wiener Katholischen Akademie 11, Wien 1960) 19–38, hier 32–35.