Vom Schmutz in mittelalterlichen Büchern

Archiv des Schottenstifts 2016-09-26

Ein mittelalterliches Buch ist bekanntlich nichts Statisches, das seit seiner Entstehung die Zeiten unverändert überdauert hat. Im Gegenteil liefert es viele Hinweise auf die Benützung und den Umgang mit Büchern, wie Randglossen, Streichungen und Ergänzungen aber auch die Anbringung und spätere Entfernung einer Kette zeigen. Auch im Schmutz, wie er dem heutigen Benutzer zuweilen begegnet, muss nicht zwangsläufig etwas dem Buch zu Unrecht Anhaftendes gesehen werden, das die eigentlichen Informationen überdeckt – wie auch während jüngster Arbeiten an der Inkunabelsammlung des Schottenstifts aufgefallen ist.

Problematisch ist Schmutz freilich, wenn er beispielsweise in Form von Schimmel auftretend Information nachhaltig zerstört und daher eine Restaurierung erforderlich ist. In anderen Fällen ist der Schmutz nicht schädlich, eine Entfernung würde sogar einen gewissen Informationsverlust bedeuten, da ein stark abgegriffenes Buch oder auch einzelne besonders verschmutzte Seiten auf eine intensive Nutzung eines Textes schließen lassen. Sand, der beim Blättern zwischen den Seiten hervorrieselt, ist eher ein Zeugnis der sorgfältigen Herstellung eines Textes und nicht von allzu sorglosem Umgang mit dem Buch, da Löschsand zum Trocknen der feuchten Tinte diente. Auch das auf einer Seite der Inkunabel 106b (Hübl 51) eingeschöpfte Haar vergegenwärtigt dem heute an maschinell hergestelltes Holzschliffpapier gewöhnten Leser die händische Schöpftechnik alter Papiere.

Ink. 106b (Hübl 51) (nicht foliiert)Ink. 106b (Hübl 51) (nicht foliiert)

Weiters sind Wachsflecken Spiegelungen der Lesegewohnheiten und -bedingungen früherer Zeiten.

Links: Ink. 109c (Hübl 198): Weiße Wachsflecken auf dem Vorderdeckel. Rechts: Ink. 214 (Hübl 321), fol. 247: notdürftig abgekratzter Wachsfleck.Links: Ink. 109c (Hübl 198): Weiße Wachsflecken auf dem Vorderdeckel. Rechts: Ink. 214 (Hübl 321), fol. 247: notdürftig abgekratzter Wachsfleck.

Auch die Reste einer zwischen den Seiten gepressten Blume, dürfen nicht ausschließlich als Schmutz im Buch charakterisiert werden, sind sie doch viel eher Reflex des kulturellen Umgangs mit einem Buch, das auf vielfältige Art und Weise der Konservierung von Erinnerungen dienen konnte.

Ink. 264 (Hübl 127), fol. 318v/319rInk. 264 (Hübl 127), fol. 318v/319r

Tatsächlich ist Schmutz in einem Buch aber selten Zeichen einer besonders positiven Behandlung, sondern entpuppt sich dagegen eher als das was man erwartet, nämlich ein Zeugnis menschlicher Achtlosigkeit, wie auch die häufig zu findenden schmutzigen Fingerabdrücke auf einzelnen Seiten zeigen.

Blanker Missbrauch eines Buches – wenn auch gar nicht so selten anzutreffen – ist dagegen dessen Zweckentfremdung als Fliegenklatsche. Die Tatsache, dass das tote Insekt nicht aus dem Buch entfernt sondern viel eher als Jagdtrophäe zwischen den Seiten belassen wurde, zeigt die Befriedigung, die der stundenlang von der Fliege beim Lesen Geplagte beim Zuklatschen des Buches offenkundig empfand.

Ink. 258 (Hübl 244), fol. IIInk. 258 (Hübl 244), fol. II

Wer mehr über Schmutz in alten Büchern lesen möchte, dem sei ein Artikel vom Leidener Historiker Erik Kwakkel in seinem Blog Medieval Books ans Herz gelegt: Erik Kwakkel, Dirty Old Books, in: Medieval Books, 26.2.2016, online unter https://medievalbooks.nl/2016/02/26/dirty-old-books (Zugriff: 14.7.2016).