1418: Als aus Schotten »Schotten« wurden

Archiv des Schottenstifts 2018-08-02

Aus Anlass des 600. Jahrestages des Abzugs der irischen Mönche aus dem Wiener Schottenkloster im August 1418 widmet sich derzeit eine kleine Themenschau im Museum im Schottenstift den Ereignissen dieses Jahres und ihren Folgen. Die dort gezeigten Objekte seien auch an dieser Stelle kurz vorgestellt.

Sprach man im Mittelalter von Scotia, dann meinte man zunächst nicht das heutige Schottland, sondern die Insel Irland. Als Schotten (scoti) wurden daher vorrangig die Bewohner Irlands bezeichnet. Ausgehend vom Mutterkloster St. Jakob in Regensburg entstand im Laufe des 12. Jahrhunderts vor allem im süddeutschen Raum ein Verband irischer Benediktinerkonvente, die Schottenklöster genannt wurden. Durch Rekrutierungs- und Ausbildungsstationen in der irischen Heimat gelang es diesen über Jahrhunderte hinweg, ihre ethnische Geschlossenheit zu bewahren. Solche irischen Mönche meinte auch Herzog Heinrich II. Jasomirgott, als er in seiner Stiftungsurkunde für das 1155 von ihm in Wien gegründete Kloster festhielt, dass er allein Schotten auserwählt habe (solos elegimus Scottos), hier zu leben.

Urk 1161-04-21.1. Herzog Heinrich II.: Stiftungsurkunde des Schottenklosters (erste Fassung, Ausschnitt).Urk 1161-04-21.1 Herzog Heinrich II.: Stiftungsurkunde des Schottenklosters (erste Fassung, Ausschnitt).

Im August 1418, 263 Jahre nach der Klostergründung, endet die Ära der irischen Mönche im Wiener Schottenkloster. Die Voraussetzungen dafür werden am Konzil von Konstanz und am Petershausener Provinzialkapitel geschaffen. Angesichts des nicht mehr funktionierenden Nachzugs aus Irland gestattet Papst Martin V. am 17. Jänner 1418 auf Bitten des österreichischen Herzogs Albrecht V. (später König Albrecht II.), dass auch andere als Iren (de Scotie et Ybernie) in das Wiener Schottenkloster aufgenommen werden dürfen. Er setzt damit die Exklusivitätsklausel der Stiftungsurkunde aus dem Jahr 1161 außer Kraft.

Urk 1418-01-17.2. Papst Martin V.: Erlaubnis zur Aufnahme nicht-irischer Mönche (Ausschnitt).Urk 1418-01-17.2 Papst Martin V.: Erlaubnis zur Aufnahme nicht-irischer Mönche (Ausschnitt).

Im Zuge der beginnenden Melker Klosterreform kommt es im Sommer 1418 zur Visitation des Schottenklosters, die zunächst von 1. bis 7. August 1418 dauert und deren Ablauf in der Visitationsurkunde der päpstlichen Bevollmächtigten Abt Angelus von Rein und Prior Leonhard von Gaming beschrieben wird. Die eigentlichen Anliegen der Reform stellen für die irischen Mönche keine Schwierigkeit dar – sehr wohl aber die speziell auf die Ethnizität im Kloster bezogene Klausel. Vor die Wahl gestellt, auch Einheimische in ihre Reihen aufzunehmen oder auf das Kloster zu verzichten, entscheiden sie sich für eine Rückkehr in ihre Mutterabtei nach Regensburg. In der Visitationsurkunde findet sich die Auswanderungserklärung der letzten Iren; neben Abt Thomas genannt werden der Prior Laurentius und die Mönche Patricius, Donatus, Karolus, Mauritius und Finianus.

Urk 1418-08-07. Visitationsurkunde Abt Angelus’ von Rein und Prior Leonhards von Gaming für das Schottenkloster.Urk 1418-08-07 Visitationsurkunde Abt Angelus’ von Rein und Prior Leonhards von Gaming.

Die förmliche Resignation des letzten irischen Abtes Thomas nehmen die päpstlichen Visitatoren am 9. August 1418 entgegen.

Urk 1418-08-09. Resignation Abt Thomas’ (Ausschnitt).Urk 1418-08-09 Resignation Abt Thomas’ (Ausschnitt).

Umgehend wird nun das Kloster in Wien mit einheimischen Benediktinern aus Melk neu besiedelt. Zum neuen Abt ernennen die Visitatoren den Reformer Nikolaus von Respitz. Der Name „Schottenkloster“ bleibt jedoch erhalten. 

Der Wechsel erfolgt nicht konfliktfrei; in den folgenden Jahren kommt es zu mehreren Streitigkeiten mit den Iren. Da Abt Thomas, der eine jährliche Pension von 80 Dukaten zugesprochen bekommt, bald nach seiner Resignation in Wien Abt des Würzburger Schottenklosters wird, beauftragt Papst Martin V. am 23. April 1425 von Rom aus den Propst von St. Stephan in Wien mit der Prüfung der Notwendigkeit dieses Anspruchs.

Urk 1425-04-23. Papst Martin V.: Auftrag zur Überprüfung der Pension Abt Thomas’.Urk 1425-04-23 Papst Martin V.: Auftrag zur Überprüfung der Pension Abt Thomas’.

Das Schottenkloster St. Jakob in Regensburg hingegen macht weiterhin Ansprüche auf das Wiener Kloster geltend, die Streitsache zieht sich über Jahrzehnte. Am 26. August 1434 überträgt das Konzil von Basel die Entscheidung dem Dechant des Passauer Domkapitels – endgültig geklärt wird die Angelegenheit jedoch erst im Jahr 1448.

Urk 1434-08-26. Delegierung des Passauer Domdechanten durch das Basler Konzil in der Streitsache mit St. Jakob in Regensburg (Ausschnitt).Urk 1434-08-26 Delegierung des Passauer Domdechanten durch das Basler Konzil in der Streitsache mit St. Jakob in Regensburg (Ausschnitt).

Auskunft über die durch das Jahr 1418 geänderten Verhältnisse geben auch die Verbrüderungsurkunden des Schottenklosters. Gebetsverbrüderungen dienen der vertraglichen Vereinbarung des Totengedächtnisses und anderer liturgischer Leistungen füreinander; zwischen zwei Klöstern abgeschlossen, sind sie Ausdruck einer starken Verbundenheit. Die Verbrüderung des Regensburger Schottenklosters St. Jakob mit dem Wiener Tochterkloster datiert vom 19. März 1283. Am 4. Mai 1422 beurkunden hingegen Abt Nikolaus Seyringer, Prior Petrus von Rosenheim und der Konvent von Melk die Verbrüderung ihres Stiftes mit dem Wiener Schottenkloster unter Abt Nikolaus von Respitz.

Urk 1283-03-18: Verbrüderung mit dem Schottenkloster St. Jakob in Regensburg. Urk 1422-05-04: Verbrüderung mit der Benediktinerabtei Melk.Urk 1283-03-18: Verbrüderung mit dem Schottenkloster St. Jakob in Regensburg. Urk 1422-05-04: Verbrüderung mit der Benediktinerabtei Melk.

Die Melker Reform nimmt ihren Ausgang im Kloster Subiaco im italienischen Latium, der Wiege des Benediktinertums, von wo aus die ersten Reformer nach Österreich kommen. Daher führen diese in den reformierten Klöstern zur genauen Regelung des klösterlichen Alltags die Gewohnheiten und Bräuche von Subiaco (Caeremoniae regularis observanciae Sublacenses) ein. Erst Jahrzehnte später werden eigene Melker Gewohnheiten (Consuetudines Mellicenses) niedergeschrieben.

Cod. 300 (Hübl 240), fol. 97r. Caeremoniae regularis observanciae Sublacenses.Cod. 300 (Hübl 240), fol. 97r Caeremoniae regularis observanciae Sublacenses.

Besondere Anliegen der Melker Reform sind neben strenger Klosterdisziplin und neubelebter Liturgie vor allem Bildung und Studium, die ihren Ausdruck in einer starken praxisbezogenen Schriftlichkeit finden. In zahlreichen Texten beschäftigen sich die Melker Reformmönche mit unterschiedlichen Aspekten des klösterlichen Lebens. Einer der wichtigsten Autoren der Reform ist der Melker Mönch Johannes Schlitpacher, der unter anderem einen Kommentar zur Regel des heiligen Benedikt (Memoriale viaticum regulae S. Benedicti) verfasst. Ein von vielen Reformern, hier konkret vom Melker Mönch Petrus von Rosenheim, behandeltes Thema ist die Abstinenz vom Fleischgenuss (de esu carnium).

Cod. 297 (Hübl 237), fol. 3r: Johannes Schlitpacher: Memoriale viaticum Regulae S. Benedicti. Cod. 392 (Hübl 391), fol. 212r: Petrus von Rosenheim: De esu carnium.Cod. 297 (Hübl 237), fol. 3r: Johannes Schlitpacher: Memoriale viaticum Regulae S. Benedicti. Cod. 392 (Hübl 391), fol. 212r: Petrus von Rosenheim: De esu carnium.

Dieses Brevier wurde 1471 im Stift Melk geschrieben (Breviarium Mellicense). Ein Brevier versammelt die verschiedenen Texte des Stundengebets in handlicher Form, wodurch es einem Mönch ermöglicht, seiner Verpflichtung zum Chorgebet auch bei Verhinderung, etwa auf Reisen, nachzukommen. Die Zusammenstellung der Texte kann je nach Kloster, Reformkreis oder Orden unterschiedlich sein. Blättern Sie online in dieser Handschrift!

Cod. 151 (Hübl 158), fol. 35v: Breviarium Mellicense.Cod. 151 (Hübl 158), fol. 35v Breviarium Mellicense.

Liber monasterii sancte Marie (virginis) Scotorum („Buch des Klosters der heiligen (Jungfrau) Maria der Schotten“) – so oder so ähnlich lautet gewöhnlich der Besitzvermerk in den Büchern des Schottenklosters. In den Jahrzehnten nach der Reform 1418 wird dieser Vermerk durch ein schlichtes alias („sonst“, im Sinne von „sogenannt“) zu alias Scotorum ergänzt. Damit soll verdeutlicht werden, dass es sich nur noch dem Namen nach um ein Kloster der irischen Schotten handelt.

BesitzvermerkeBesitzvermerke.

Am ersten Blatt dieses deutschsprachigen Novizenspiegels, einer Lehrschrift für Novizen und Kleriker, finden sich neben einem ausführlichen Besitz- und Anschaffungsvermerk aus dem Jahr 1456 auch mehrere nachträgliche Eintragungen zu den Abtweihen im Schottenkloster. Jeweils angegeben wird dort auch, um den wievielten Abt nach den irischen Schotten es sich handelt (z.B. der do ist der funfft nach den schotten). Blättern Sie online in dieser Handschrift!

Cod. 51 (Hübl 212), fol. 1r: Novizenspiegel (Anschaffungsvermerk und Notizen zu Abtweihen).Cod. 51 (Hübl 212), fol. 1r Novizenspiegel (Anschaffungsvermerk und Notizen zu Abtweihen).

Bei ihrem Abzug aus Wien nahmen die Iren auch den größten Teil ihres Buchbestands mit. Zurück blieben lediglich einige ausrangierte liturgische Bücher, die in der Folge zerschnitten wurden und teilweise als Einbandfragmente erhalten geblieben sind.

Fragm. liturg. 19: Antiphonar mit einem Reimoffizium zu Ehren des heiligen Benedikt. Fragm. liturg. 98: Hymnar mit Gesängen zu den Gedenktagen der irischen Heiligen Patrick, Columban und Baithen. Fragm. liturg. 1: Chorbuch mit Gesängen für Weihnachten.Fragm. liturg. 19: Antiphonar mit einem Reimoffizium zu Ehren des heiligen Benedikt. Fragm. liturg. 98: Hymnar mit Gesängen zu den Gedenktagen der irischen Heiligen Patrick, Columban und Baithen. Fragm. liturg. 1: Chorbuch mit Gesängen für Weihnachten.

Als Makulatur sollten Fragmente den Buchblock einer Handschrift vor Beschädigungen durch die Holzdeckel des Einbandes schützen. Im Zuge der wissenschaftlichen Erforschung wurden die meisten Fragmente Ende des 20. Jahrhunderts aus den Büchern herausgelöst. An manchen Stellen blieben jedoch Spuren sichtbar. So findet sich etwa im Vorderdeckel dieser Handschrift aus dem 15. Jahrhundert der Abklatsch des Fragments eines Antiphonars aus dem 12. Jahrhundert – besonders deutlich erkennbar an der Stelle der Deckfarbeninitiale.

Einbanddeckel (Cod. 357 (Hübl 357), VD) und Fragment (Fragm. liturg. 9: Fragment eines Antiphonars mit einem Gesang für Karsamstag).Einbanddeckel (Cod. 357 (Hübl 357), VD) und Fragment (Fragm. liturg. 9: Fragment eines Antiphonars mit einem Gesang für Karsamstag).

Um 1465 verfasst ein Reformmönch des Schottenklosters eine Gedächtnisschrift über die Reform des Klosters, das Memoriale reformacionis ad Scotos, in welcher nicht nur die Visitation im Jahr 1418, sondern auch die angeblichen negativen Zustände im Kloster vor der Reform beschrieben werden. Lange Zeit wurde der Charakter dieses Textes als Propagandaschrift nicht erkannt, weshalb die irischen Mönche der Nachwelt als besonders lasterhaft galten. Jüngere Forschungen haben jedoch gezeigt, dass die Iren in Wirklichkeit hochangesehene Mitglieder der städtischen Gesellschaft waren, von denen keine Verfehlungen überliefert sind.

In den im Memoriale enthaltenen nekrologischen Notizen, welche die seit der Reform verstorbenen Mönche des Schottenklosters nennen, wird auch ein frater Patricius sacerdos de Scocia erwähnt. Nach der Visitation 1418 entschied sich dieser Patricius (Patrick), der im Visitations­bericht als einer der letzten irischen Mönche angeführt wird, als einziger dazu, doch in Wien zu bleiben. Trotz aller heraufbeschworenen ethnischen Konflikte steht er hier nun inmitten seiner neuen Mitbrüder aus Österreich, Bayern, Schwaben, Mähren, Schlesien und Ungarn!

Cod. 312 (Hübl 405), fol. 100r. Nekrologische Notizen im Memoriale reformacionis ad Scotos.Cod. 312 (Hübl 405), fol. 100r Nekrologische Notizen im Memoriale reformacionis ad Scotos.

Großen Anteil an der ungerechtfertigten schlechten Nachrede der irischen Mönche hat der Mathematiker und Komponist Johann Rasch, der im Schottenkloster als Organist tätig war. Für seine 1586 im Druck erschienene Stiftsgeschichte Stifftung und Prelaten unser lieben Frauen Gottshaus, Benedicter ordens, genannt zu den Schotten, zu Wienn, die noch von einem falschen Gründungsdatum 1158 ausgeht, übernahm er weitestgehend die Berichte des Memoriale reformacionis ad Scotos. Bis heute wird sein Werk zum Teil sehr unkritisch rezipiert.

Scr. 30, o. Sign. Johann Rasch: Stifftung und Prelaten unser lieben Frauen Gottshaus, Benedicter ordens, genannt zu den Schotten, zu Wienn (1586).Scr. 30, o. Sign. Johann Rasch: Stifftung und Prelaten unser lieben Frauen Gottshaus, Benedicter ordens, genannt zu den Schotten, zu Wienn (1586).

Lange Zeit bestand der Verdacht, die irischen Mönche hätten bei ihrem Abzug aus Wien nicht nur Bücher, sondern auch Urkunden mit sich genommen. Noch im 19. Jahrhundert wendet sich daher Abt Andreas Wenzel an den Historiker Joseph von Hormayr mit der Bitte, Informationen über die Regensburger Archivsituation einzuholen. Hormayr erstattet Wenzel am 10. April 1828 Bericht und kündigt an, dass der Regensburger Regierungsdirektor Ignaz Rudhart (später kurz griechischer Ministerpräsident) Abschriften von einzelnen Urkunden, die das Wiener Kloster beträfen, anfertigen werde. Auch diese Abschriften haben sich im Stiftsarchiv erhalten – wirklich relevante Urkunden sind aber keine darunter.

Scr. 102 Nr. 25. Brief Joseph von Hormayrs an Abt Andreas Wenzel über die Archivsituation in Regensburg (1828).Scr. 102 Nr. 25 Brief Joseph von Hormayrs an Abt Andreas Wenzel über die Archivsituation in Regensburg (1828, Ausschnitt).

Die Themenschau „1418: Als aus Schotten »Schotten« wurden“ kann von Anfang Juli bis Anfang November 2018 im Museum im Schottenstift besichtigt werden. Der Zugang erfolgt über den Klosterladen (Freyung 6, 1010 Wien).